von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Das Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Gesetze sieht neben der nunmehr verpflichtend vorgesehenen anwaltlichen Vertretung in Spruchverfahren die Möglichkeit eines Mehrheitsvergleichs vor. Ein entsprechend qualifizierter Mehrheitsvergleich ist schon seit vielen Jahren von Praktikern und in der Fachliteratur gefordert worden (Puszkaljer, ZIP 2003, 518, 521, aus Hauptaktionärssichtweise: Gotthardt/Krengel, Reformbedürftigkeit des Spruchverfahrens, AG 2018, 875 - 881). Puszkajler/Sekera-Terplan, Reform des Spruchverfahrens?, NZG 2015, 1055 ff, hatten einen Akzeptanzquote von 90 % der Antragsteller als Voraussetzung diskutiert.
In der Praxis scheiterten Vergleiche häufig an nur ein oder zwei Antragstellern mit einer nur geringen betroffenen Aktienzahl. Als Zwischenlösung behalf man sich in der Praxis mit Teilvergleichen mit der Option für die dissentierenden Antragsteller, dem Vergleich noch beizutreten (was in einer überwiegenden Mehrheit der Fälle auch geschah). Im Rahmen des „Münchener Modells“ mussten die dissentierenden Antragsteller dann ihre Position alleine vertreten.
Auch der Anregung, eine von allen anderen Beteiligten und dem gemeinsamen Vertreter akzeptierte Erhöhung der Kompensation im Wege der freien Beweiswürdigung als "mehrheitskonsensuale Schätzung" auch gerichtlich festzusetzen, hatte das OLG Düsseldorf vor zehn Jahren eine Absage erteilt (Beschluss vom 8. August 2013, Az. I-26 W 17/12 (AktE). Bei einem Mehrheitsvergleich werde „das Recht des außenstehenden Aktionärs, die Angemessenheit der Leistung gerichtlich überprüfen zu lassen, unzulässig eingeschränkt“. Das OLG Düsseldorf hielt fest: „Die Beteiligten eines Spruchverfahrens sind weder gezwungen, einem Vergleich, der von den übrigen Beteiligten gewünscht wird, zuzustimmen, noch ist die Durchführung eines Spruchverfahrens nach dem Willen des Gesetzgebers davon abhängig, dass eine bestimmte Anzahl von Aktionären den Antrag auf Durchführung eines Spruchverfahrens und damit die Angemessenheit der in einer Strukturmaßnahme bestimmten Kompensation zur Überprüfung des Gerichts stellt.“ Auch als Grundlage für eine Schätzung könne ein Vergleich nicht dienen: „Dies lässt sich indessen schon mit dem Wesen des Spruchverfahrens und seiner Aufgabe nicht in Einklang bringen, denn auch eine solche Verfahrensweise läuft im Ergebnis auf einen "Zwangsvergleich" und damit auf eine unzulässige Einschränkung der gesetzlichen Rechte der außenstehenden Aktionäre hinaus.“
Mit dem neu eigefügten § 11a SpruchG wird nunmehr eine gesetzliche Grundlage für einen qualifizierten Mehrheitsvergleich eingeführt. Eine entsprechende vergleichsweise Regelung soll vom Gericht bei seiner Schätzung berücksichtigt werden können:
„Einigen sich der Antragsgegner, die gemeinsamen Vertreter und solche Antragsteller, die gemeinsam mindestens 90 Prozent des Grund- oder Stammkapitals sämtlicher Antragsteller halten, auf eine bestimmte Kompensation, so kann das Gericht deren Höhe im Rahmen seiner Schätzung berücksichtigen.“
Grundlage ist somit ein Vergleich, dem der (die Nachbesserung zahlende und die Kosten tragende) Antragsgegner, der gemeinsame Vertreter und eine qualifizierte Mehrheit der Antragsteller mit 90 % der von Antragstellern vertretenen Aktien zugestimmt hat. Angesichts dieses hohen Quorums kann ein Mehrheitsvergleich nur dann scheitern, wenn (ehemalige) Minderheitsaktionäre mit einem substantiellen Aktieneigentum nicht zustimmen. Auch dann ist das Gericht nicht zwingend an eine derartige Regelung gebunden, sondern kann sie bei der Schätzung berücksichtigen. Eine längere Zeit dauernde Beweiserhebung, etwa durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, ist aber dann nicht mehr erforderlich.
Die Möglichkeit eines Mehrheitsvergleichs ist erst für neu eingeleitete Verfahren anzuwenden (§ 17 Abs. 3 Spruch in der Neufassung: „Spruchverfahren (…), in denen ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung ab dem 31. Januar 2023 gestellt wurde.“), so dass sich die praktische Bedeutung erst in einiger Zeit zeigen wird.
Der Rechtsgedanke hinter dieser Neuregelung kann ggf. aber auch für Altverfahren genutzt werden. Das OLG Düsseldorf hat zwar kürzlich festgehalten, dass ein mit maßgeblichen Antragstellern (mit 40 % der betroffenen Aktien) nur "inter partes" vereinbarter Vergleich (in dem dort entschiedenen Fall AXA Konzern) kein Gegenstand der Angemessenheitsprüfung in einem Spruchverfahren sei (Beschluss vom 20. Juni 2022, Az. I-26 W 3/20 [AktE]). Angesichts der nunmehr ausdrücklich eingefügten gesetzlichen Grundlage wird man zukünftig aber nicht mehr mit „dem Wesen des Spruchverfahrens und seiner Aufgabe“ argumentieren können, so dass eine Berücksichtigung eines qualifizierten gerichtlichen Vergleichs auch für die Schätzung des Unternehmenswerts in Altverfahren neu zu überdenken ist.
Der Beitrag wird mit
weiteren Aspekten der Neuregelung, wie etwa die Abschaffung des
Nichtabhilfebeschlusses im Spruchverfahren, fortgesetzt.