Der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat unter Vorsitz des Präsidenten des Oberlandesgerichts Eberhard Stilz in einem gestern gefassten Beschluss in letzter Instanz entschieden, dass die Wertrelation, die der Fusion der Daimler Benz AG mit der zwischenzeitlich in Daimler AG umbenannten vormaligen DaimlerChrysler AG im Jahr 1998 zugrunde gelegt worden war, angemessen war.
Die Verschmelzung war Teil des Zusammenschlusses zwischen der Daimler Benz AG und der Chrysler Corporation. Die Hauptversammlungen dieser beiden Unternehmen hatten am 18.09.1998 dem Gesamtvorhaben des Zusammenschlusses zugestimmt.
Nach den zwischen den beteiligten Unternehmen getroffenen Vereinbarungen sollten die Aktionäre der ehemaligen Daimler Benz AG ihre Aktien im Verhältnis 1 zu 1,005 gegen Aktien der DaimlerChrysler AG umtauschen können; für die Aktionäre der Chrysler Corporation sollte ein Umtausch ihrer Aktien gegen solche der DaimlerChrysler AG im Verhältnis von 1 zu 0,6235 erfolgen. Dem lagen eingehende Verhandlungen und Bewertungsgutachten von Wirtschaftsprüfern zugrunde.
Ehemalige Aktionäre der Daimler Benz AG hatten beim Landgericht Stuttgart ein Spruchverfahren eingeleitet, um eine bare Zuzahlung zu ihren umgetauschten Aktien zu erhalten. Das Umwandlungsgesetz sieht eine Zuzahlung vor, wenn das Umtauschverhältnis zu niedrig bemessen ist.
Das Landgericht Stuttgart hatte mit Beschluss vom 04.08.2006 eine bare Zuzahlung in Höhe von 22,15 € pro Aktie festgesetzt; daraus errechnete sich ein Gesamtvolumen der zu leistenden Zuzahlungen von ca. 230 Mio. €. Die Kammer des Landgerichts war nach Durchführung einer Beweisaufnahme der Ansicht, dass eine Korrektur der auf der Grundlage der „Ertragswertmethode“ ermittelten Unternehmenswerte erforderlich sei. Der Unternehmenswert der Daimler Benz AG sei höher und derjenige der Chrysler Corporation niedriger in Ansatz zu bringen. Angemessen sei danach eine Umtauschrelation zwischen Aktien der Daimler Benz AG und der DaimlerChrysler AG im Verhältnis von 1 zu 1,2073, woraus sich der festgesetzte Zuzahlungsbetrag ergebe.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat jetzt der Beschwerde der Daimler AG, der vormaligen DaimlerChrysler AG, stattgegeben, den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und die Anträge auf Festsetzung einer Zuzahlung zurückgewiesen. Der Senat hat zugleich die Beschwerden und Anschlussbeschwerden der Antragsteller abschlägig beschieden, die eine noch höhere Zuzahlung begehrt haben.
Die nach der so genannten „Ertragswertmethode“ vorgenommene Bewertung in dem Gutachten der Gesellschaften, nach welchem die vereinbarte Verschmelzungsrelation als angemessen anzusehen ist, ist nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht zu beanstanden.
Nach der allgemein anerkannten „Ertragswertmethode“ wird der Unternehmenswert durch die Diskontierung der künftig den Unternehmenseignern, hier also den Aktionären, zufließenden finanziellen Überschüsse ermittelt. Diese Zukunftserträge werden auf der Grundlage der Ergebnisse der früheren Jahre und der internen Planung des Unternehmens prognostiziert. Dieser Prognose kommt eine hohe Bedeutung für die Unternehmensbewertung zu; sie ist deshalb in vielen Bewertungsverfahren besonders umstritten.
Der Fall zeichnet sich nach Ansicht des Senats durch die Besonderheit aus, dass über den Zusammenschluss zweier zuvor voneinander unabhängiger Konzerne zu entscheiden war, die durch ihre Vorstände nach einer freien und sachkundig unterstützten Verhandlung eine für angemessen erachtete Verschmelzungsrelation vereinbart haben und deren Verhandlungsergebnis durch die Hauptversammlung der Daimler Benz AG mit einer Mehrheit von ca. 99,9 % des vertretenen Kapitals gebilligt wurde. Derartige Vertragsverhandlungen sind naturgemäß davon geprägt, dass die Interessen aller Aktionäre einer jeden Seite auf ein möglichst günstiges Umtauschverhältnis gerichtet sind. Klein- und Großaktionäre eines Unternehmens haben in einem solchen Fall gleichgerichtete wirtschaftliche Interessen.
Damit unterscheidet sich nach Auffassung des Senats eine solche Verschmelzung unabhängiger Gesellschaften wesentlich von regelmäßig auftretenden Fallgestaltungen in anderen Spruchverfahren, in denen es etwa um Abfindungen für Minderheitsaktionäre geht, die aus Eigeninteresse eines Großaktionärs im Wege des "Squeeze Out" aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. In solchen Verfahren ist es die Funktion des Spruchverfahrens, einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Aktionären einer Gesellschaft herzustellen.
Demgegenüber besteht bei einem vertragsautonom ausgehandelten und von einer großen Aktionärsmehrheit gebilligten Verschmelzungsvertrag eine höhere Gewähr dafür, dass die Vorstände die wirtschaftlichen Interessen der Anteilseigner ihres jeweiligen Unternehmens hinreichend berücksichtigt und durchgesetzt haben. Deshalb ist in solchen Fällen die gerichtliche Prüfung des Umtauschverhältnisses eingeschränkt. Sie hat sich darauf zu konzentrieren, ob die zwischen den unabhängigen Unternehmen geführten Verhandlungen als sorgfaltsgemäß angesehen werden können.
Dagegen ist es grundsätzlich nicht die Aufgabe des Gerichts, im Rahmen der Unternehmensbewertung eigene Wertungen an die Stelle der Wertentscheidungen der Verhandlungsführer zu setzen, wenn diese unternehmerischen Entscheidungen vertretbar sind. Diese Vertretbarkeit hat der Senat nach einer umfangreichen Beweisaufnahme durch Vernehmung zahlreicher Zeugen, eingehender Prüfung der Bewertungsgutachten und des Vortrags der Verfahrensbeteiligten festgestellt.
Auch Überlegungen zur Börsenkurskapitalisierung, einer von der „Ertragswertberechnung“ abweichenden Methode der Feststellung der Verschmelzungsrelation, rechtfertigen keine Zuzahlung. Denn bei einer stichtagsbezogenen Ermittlung ergibt sich kein Börsenwert, der über dem Unternehmenswert aus den Bewertungsgutachten liegt. Die Heranziehung des Börsenkurses erschien dem Senat in diesem Fall zudem aus rechtlichen Erwägungen nicht sachgerecht; dafür sprach u.a., dass einer der beiden Verschmelzungspartner, die vormalige DaimlerChrysler AG, zum maßgeblichen Stichtag nicht börsennotiert war.
Eine weitere Beschwerde gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist gem. § 12 Abs. 2 S. 3 SpruchG a. F. ausgeschlossen.
Beschluss vom 14.10.2010
Aktenzeichen 20 W 16/06
Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 15. September 2010