OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. August 2013, Az. I-26 W 17/12 (AktE)
AG 2013, 807 ff.
Leitsätze:
1. Stimmen eine Mehrheit der außenstehenden Aktionäre und der
gemeinsame Vertreter im Spruchverfahren dem Angebot einer Erhöhung der
Abfindung wegen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages im Weg eines
Vergleichs als angemessen zu (Mehrheitsvergleich), hat dies keinen Einfluss auf das Ergebnis des Spruchverfahrens, das mit dem nicht vergleichsbereiten Antragsteller fortzuführen ist. Das Ergebnis des Mehrheitsvergleichs rechtfertigt nicht den Schluss, dass auch
im Verhältnis zu den übrigen Antragstellern die mit dem Vergleich verbundene Erhöhung die
gesetzlich geforderte "angemessene" Abfindung und den
"angemessenen" Ausgleich darstellt.
2. Für eine
"konsensuale Schätzung" im Wege der freien Beweiswürdigung ist
insoweit kein Raum, da von dem Vergleichsschluss mit einem Teil der
Antragsteller das auch auf Antrag der nichtvergleichsbereiten Antragsteller
eingeleitete Spruchverfahren nicht berührt wird. Vor diesem Hintergrund
kann das Gericht nach Einholung eines umfassenden Bewertungsgutachtens nicht
ohne weitere Auseinandersetzung mit diesem, und gegebenenfalls einer Anhörung
der Sachverständigen, als "angemessene" Kompensation die Werte
festsetzen, auf die sich die übrigen Antragsteller im Vergleichswege geeinigt
hatten.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach Ansicht des OLG kann der durch einen Mehrheitsvergleich festgelegte Betrag nicht ohne Weiteres als angemessene Barabfindung festgesetzt werden. Das Gericht verweist vor allem auf den Eigentumsschutz durch Art. 14 Abs. 1 GG.
"Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum, das im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis gekennzeichnet ist und sowohl die mitgliedschaftliche Stellung des Aktionärs in der Gesellschaft als auch vermögensrechtliche Ansprüche vermittelt, durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt (vgl. BVerfGE 14, 263, 276; 25, 371, 407; 50, 290, 339; 100, 289, 301 f.). Verliert der Minderheitsaktionär diese mitgliedschaftliche Stellung - wie hier durch das "Squeeze out" - oder wird sie durch eine Strukturmaßnahme in relevantem Maße auch nur eingeschränkt, muss er für den Verlust seiner Rechtsposition und die Beeinträchtigung seiner vermögensrechtlichen Stellung daher wirtschaftlich voll entschädigt werden (vgl. BVerfGE 100, 289, 304 f.). Dabei hat die angemessene Entschädigung den "wirklichen" oder "wahren" Wert des Anteilseigentums widerzuspiegeln (vgl. BVerfGE 100, 289, 306). Auszugehen ist also von einem objektivierten Unternehmenswert; subjektive Wertvorstellungen haben außer Betracht zu bleiben.
Aus Art. 14 Abs. 1 GG folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiter, dass die grundrechtlich geschützte Aktionärsstellung auch verfahrensrechtlich abzusichern ist. Dies bedeutet, dass eine Abfindungs- und Ausgleichsregelung gerichtlich überprüfbar sein muss (vgl. BVerfGE 100, 289, 304; BVerfGK 1, 265, 269; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2000 - 1 BvR 68/95, 1 BvR 147/97 -, NJW 2001, S. 279, 281; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. Mai 2007 - 1 BvR 390/04 -, NJW 2007, S. 3268, 3270 Rdnr. 20; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Mai 2012 - 1 BvR 3221/10 -). Das Spruch(stellen)verfahren setzt folglich das verfassungsrechtlich garantierte Recht der Minderheitsaktionäre um, effektiven Rechtsschutz hinsichtlich der ihnen geschuldeten Kompensation zu erhalten, also die Abfindung zum wahren Wert ihrer Beteiligung zu gewährleisten. Es ist der ausschließliche Rechtsbehelf des Aktionärs zur Überprüfung der Angemessenheit der Leistungen. Der strukturellen Unterlegenheit der Aktionäre trägt der Gesetzgeber weiter dadurch Rechnung, dass im Spruchverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, denn die relevanten, für die Unternehmensbewertung maßgeblichen Umstände sind im Wesentlichen nur den Gesellschaften, nicht den Aktionären bekannt.
Die gerichtliche Bestimmung der angemessenen Abfindung und die ihr zugrunde liegende Unternehmensbewertung sind in erster Linie Rechtsanwendung, bei der das Gericht allerdings sachverständiger Unterstützung durch Prüfungspraxis und Betriebswirtschaftslehre bedarf. Für die Ermittlung des Unternehmenswerts schreiben weder Art. 14 Abs. 1 GG noch das einfache Recht eine bestimmte Methode vor. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Verkehrswert im Wege der Schätzung (§ 287 ZPO, § 738 Abs. 2 BGB) etwa nach einer anerkannten betriebswirtschaftlichen Methode ermittelt wird (BGHZ 147, 108, 116 "DAT/Altana"). Entscheidend ist damit, dass eine Bewertungsmethode angewandt wird, die das Bewertungsziel erreicht. In der Praxis hat sich das Ertragswertverfahren durchgesetzt, das verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfGE 100, 289, 307). Da der Schutz der Minderheitsaktionäre gebietet, dass sie jedenfalls nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Deinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt der unternehmerischen Maßnahme erhalten hätten, darf nach ständiger Rechtsprechung bei der Bewertung ein existierender, repräsentativer Börsenkurs - als Untergrenze - nicht außer Betracht bleiben.
2. Vor diesem Hintergrund konnte das Landgericht nach Einholung des umfassenden Bewertungsgutachtens nicht ohne weitere Auseinandersetzung mit diesem - und ggfs. einer Anhörung der Sachverständigen - als "angemessene" Kompensation den Wert festsetzen, auf den sich die übrigen Antragsteller und die Antragsgegnerinnen im Vergleichswege geeinigt hatten. (...)
2.2. Dass die übrigen Minderheitsaktionäre sich im Wege des Vergleichs mit der Antragsgegnerin zu 2) auf eine Abfindung in der tenorierten Höhe geeinigt haben, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Kammer nicht den Schluss, dass die damit verbundene Erhöhung die gesetzlich geforderte angemessene Abfindung ist. Für eine "konsensuale Schätzung" ist kein Raum, das Spruchverfahren ist vielmehr mit dem verbliebenen Antragsteller fortzuführen.
2.2.1. Von dem Vergleichsschluss mit den übrigen Antragstellern wird das auch auf den Antrag des - nicht vergleichsbereiten - Antragstellers zu 6) eingeleitete Spruchverfahren schon im Grundsatz nicht berührt.
Verfahrensbeendende Wirkung kann ein Vergleich nur haben, wenn alle Beteiligten zustimmen. Der Gesetzgeber hat in § 11 Abs. 2 SpruchG die bis dahin bestehende Praxis, Spruchverfahren im Wege des Vergleichs zu beenden, legalisiert und damit der Kritik der herrschenden Meinung, die Verfahren seien mit Blick auf die inter omnes-Wirkung der Entscheidung und der fehlenden Dispositionsbefugnis der Beteiligten nicht vergleichsfähig, den Boden entzogen. Der Anregung aus der Praxis, darüber hinaus einen qualifizierten Mehrheitsvergleich vorzusehen (Puszkaljer ZIP 2003, 518, 521), hat der Gesetzgeber zugleich eine deutliche Absage erteilt, weil damit das Recht des außenstehenden Aktionärs, die Angemessenheit der Leistung gerichtlich überprüfen zu lassen, unzulässig eingeschränkt würde. Die Beteiligten eines Spruchverfahrens sind weder gezwungen, einem Vergleich, der von den übrigen Beteiligten gewünscht wird, zuzustimmen, noch ist die Durchführung eines Spruchverfahrens nach dem Willen des Gesetzgebers davon abhängig, dass eine bestimmte Anzahl von Aktionären den Antrag auf Durchführung eines Spruchverfahrens und damit die Angemessenheit der in einer Strukturmaßnahme bestimmten Kompensation zur Überprüfung des Gerichts stellt. Daher stellt sich das Beharren auf der Durchführung des Spruchverfahrens auch nicht als rechtsmissbräuchlich dar (Senat, Beschluss vom 14. März 2011 - I-26 W 10/10 (AktE) -, AG 2011, 459, Rdnr. 34; OLG Stuttgart, AG 2010, 758, Rdnr. 59; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.04.2013, 12 W 5/12, Rdnr. 65). Andernfalls könnte der Antragsgegner durch eine Erhöhung des Angebots unterhalb des angemessenen Betrags verhindern, dass die Anteilsinhaber "angemessen" entschädigt werden (BGH, Beschluss vom 19.07.2010, - II ZB 18/09 - "Stollwerck", NJW 2010, 2657, Rdnr. 8).
2.2.2. Auch im Übrigen kann die vergleichsweise Erhöhung der Kompensationsleistungen keinen Einfluss auf das Ergebnis des Spruchverfahrens haben, das mit dem nicht vergleichsbereiten Antragsteller fortzuführen ist. Insbesondere kann sie nicht als Indiz für die Angemessenheit der so erhöhten Kompensationsleistung herangezogen werden, nur weil die anderen Beteiligten mit ihr einverstanden waren.
Allerdings wird vereinzelt angeregt, die von allen anderen Beteiligten und dem gemeinsamen Vertreter akzeptierte Erhöhung der Kompensation im Wege der freien Beweiswürdigung als "mehrheitskonsensuale Schätzung" auch gerichtlich festzusetzen (Puszkaljer in: KKSpruchG, 3. A., Rdnr. 25 zu § 11; Simon, SpruchG, Rdnr. 16 zu § 11; Drescher in: Spindler/Stilz, AktG, 2. A., Rdnr. 7 zu § 11; OLG Celle, Beschluss vom 14.06.2010 - 9 W 3/10, vorangehend LG Hannover, Beschluss vom 28.12.2009 - 26 AktE 1837/01; ebenso wohl: Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. A., Rdnr. 128; ablehnend: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. A., Rdnr. 6 a zu § 11 SpruchG).
Dies lässt sich indessen schon mit dem Wesen des Spruchverfahrens und seiner Aufgabe nicht in Einklang bringen, denn auch eine solche Verfahrensweise läuft im Ergebnis auf einen "Zwangsvergleich" und damit auf eine unzulässige Einschränkung der gesetzlichen Rechte der außenstehenden Aktionäre hinaus. Die bloße Tatsache, dass die übrigen Antragsteller und die Antragsgegnerinnen sich auf eine Abfindung in Höhe von 2.150 € verständigt haben, lässt nicht den Schluss darauf zu, dass die Abfindung in dieser Höhe "angemessen" ist.
Preise, die am Markt von der herrschenden/übernehmenden Gesellschaft oder Dritten gezahlt werden, stellen in der Regel keine verlässliche Grundlage für die Beurteilung der Angemessenheit der Abfindung dar, schon weil sie durch subjektive Wertvorstellungen und Sonderüberlegungen beeinflusst sein können (vgl. nur: Stephan in: Schmidt/Lutter, AktG, 2. A., 2010, Rdnr. 111 zu § 305; BVerfGE 100, 289, 306). Dementsprechend sind auch in der Vergangenheit mit Erfolg verfassungsrechtliche Bedenken gegen Regelungen vorgebracht worden, bei denen die breite Annahme eines Angebots als Bestätigung und unwiderlegliche Vermutung für die Angemessenheit des Angebotspreises gelten und die gerichtliche Überprüfung in einem Spruchverfahren unzulässig sein sollte. So hat der Gesetzgeber davon abgesehen, die in § 327 b Abs. 1 Satz 2 RegE vorgesehene Regelung in das Gesetz zu übernehmen, nach der der in einem Angebot i. S. d. WpÜG angebotene Preis für die Abfindung maßgeblich sein sollte, falls der Hauptaktionär durch dieses die 95 %-Schwelle erreicht und das Angebot von mindestens 90 % der angesprochenen Aktionäre angenommen werden sollte (zur Kritik vgl. nur: Heidel/Lochner, DB 2001, 2031; Ehricke/Roth, DStR 2001, 1127; Rühland NZG 2001, 448, 455). Selbst der Börsenwert einer börsennotierten Gesellschaft ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs lediglich als Untergrenze der wirtschaftlich vollen Entschädigung zu verstehen (BVerfG 100, 289 ff.; BGHZ 147, 108, 115 ff. "DAT/Altana").
Dass es vorliegend um die Abfindung geht, welche die Antragsgegnerin zu 2) an Beteiligte des Spruchverfahrens zu zahlen bereit ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Auch wenn sich die übrigen - vergleichsbereiten - Antragsteller mit der angebotenen Erhöhung der Abfindung in Kenntnis des Gutachtens der gerichtlichen Sachverständigen und der hiergegen von beiden Seiten vorgebrachten Einwendungen einverstanden erklärt haben, lässt dies nicht den Schluss darauf zu, dass diese Erhöhung "angemessen" ist und damit den "wahren Wert" ihrer Beteiligung widerspiegelt. Dagegen spricht schon das Wesen des Vergleichs, der den Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt (§ 779 BGB). Gegenseitiges Nachgeben bedeutet, dass jeder Teil ein Zugeständnis irgendwelcher Art macht, um zu einer Einigung zu kommen. Daher ist der vergleichsweise gefundene Betrag auch gleichermaßen in beiden Spruchverfahren zugrunde gelegt worden, obwohl die unterschiedlichen Bewertungsstichtage - 17.12.2001 und 5.06.2002 - durchaus zu differierenden Unternehmenswerten geführt haben. Auch ist die Entscheidung der vergleichsbereiten Antragsteller ersichtlich von subjektiven Wertvorstellungen und Beweggründen beeinflusst worden. Sie hatten sich - wie die Stellungnahme des gemeinsamen Vertreters der Minderheitsaktionäre vom 28. Dezember 2012 zeigt - ganz offensichtlich daran orientiert, dass die Erhöhung rund 20 % über der angebotenen Abfindung liegt und so für sie zeitnah ein Abschluss des bereits seit 2002 anhängigen Spruchverfahrens erreicht werden konnte. Ebenso wenig kann unberücksichtigt bleiben, dass - wie der Antragsteller zu 6) geltend macht - der Vergleich eine Kostenregelung enthält, die solche Antragsteller, die den Besitz etwa nur einer Aktie hätten nachweisen können, gegenüber dem Erstattungsanspruch auf Basis einer gerichtlichen Entscheidung um etwa 11.000 € begünstigte.
Dass es sich bei dem vergleichsweise gefundenen Erhöhungsbetrag nicht um die angemessene Abfindung handeln muss, wird letztlich dadurch bestätigt, dass bei dem Senat Beschwerdeverfahren (I-26 W 3/12 (AktE) und I-26 W 4/12 (AktE)) anhängig (gewesen) sind, in denen die gerichtlich festgesetzte Kompensation die zuvor mit den übrigen Antragstellern vergleichsweise gefundene deutlich überstiegen hat."