Leitsatz:
Eine Erbengemeinschaft ist in einem Spruchverfahren angesichts der Besonderheiten des Aktienrechts beteiligtenfähig.LG München I, Beschluss vom 30. Juni 2023, Az. 5 HK O 4509/21
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerin zu 30) als
Erbengemeinschaft ist entgegen Teilen der Rechtsprechung und Literatur (vgl.
OLG Stuttgart AG 2019, 262 = ZIP 2019, 1218, 1219; OLG Frankfurt NZG 2020, 339,
340 = ZIP 2020, 810, 811; Drescher in: Beck OGK SpruchG, Stand: 1.4.2023, § 3
Rdn. 27) zu bejahen. Nach §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 8 Nr. 2 FamFG sind
beteiligtenfähig Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann.
Der BGH
hat zwar bezüglich der Partei- und Rechtsfähigkeit einer Erbengemeinschaft
wiederholt entschieden, dass diese zu verneinen sei, weil die Miterbengemeinschaft
nicht auf Dauer, sondern auf Auseinandersetzung angelegt sei und nicht über
eigene Organe verfüge, durch die sie im Rechtsverkehr handeln könnte; deshalb
soll sie kein eigenständiges, handlungsfähiges Rechtssubjekt sein, sondern
lediglich eine gesamthänderisch verbundene Personenmehrheit, der mit dem Nachlass
ein Sondervermögen zugeordnet ist (vgl. BGH NJW 2002, 3389, 3390 = WM 2002,
393, 394 = WuM 2002, 601, 602 = NZM 2002, 950, 951 = FamRZ 2002, 1621 f. =
RPfleger 2002, 625 f. = ZMR 2002, 907, 908 = MDR 2002, 81; NJW 2006, 3715 f. =
WuM 2006, 695 = NZM 2006, 944, 945 = FamRZ 2007, 41, 42 = DNotZ 2006, 134, 135
= RPfleger 2007, 75, 76 = ZMR 2007, 26, 27; Staudinger-Löhnig, BGB, Neubearb.
2020, § 2032 Rdn. 10; Palandt-Weidlich, BGB, 82. Aufl., Einf v § 2032 Rdn. 1;
Erman-Bayer, BGB, 16. Aufl., § 2032 Rdn. 1; a.A. Grunewald AcP 197 [1997], S.
305 ff.; Eberl-Boges ZEV 2002, 125, 127 ff.).
Die Kammer muss nicht
abschließend entscheiden, inwieweit der von der überwiegend vertretenen
Auffassung zur fehlenden Rechts- und Parteifähigkeit einer Miterbengemeinschaft
zu folgen ist. Die vom BGH im Zivilprozessrecht entwickelten Grundsätze lassen
sich nämlich angesichts der Besonderheiten des Aktienrechts nicht auf die
Beteiligtenfähigkeit im Spruchverfahren übertragen. Die über die
Verweisungsnorm des § 17 Abs. 1 SpruchG anwendbare Regelung des § 8 Nr. 2 FamFG
geht nämlich von einem im Vergleich zur Parteifähigkeit des § 50 ZPO weiteren
Begriff der Beteiligtenfähigkeit aus, der dazu führt, dass angesichts der
Besonderheiten des materiellen Aktienrechts eine Miterbengemeinschaft Beteiligte
eines Spruchverfahrens sein kann. Es ist weithin unstreitig, dass eine
Miterbengemeinschaft Aktien halten kann, wie dies insbesondere von § 69 Abs. 1
und Abs. 3 Satz 2 AktG vorausgesetzt wird (vgl. nur Staudinger-Löhnig, BGB,
a.a.O., § 2032 Rdn. 57; Cahn in: BeckOGK AktG, Stand: 1.4.2023, § 69 Rdn. 7;
Bezzenberger in: Schmidt/Lutter, a.a.O., § 69 Rdn. 3; Lohr in: Heidel,
Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 69 Rdn. 4). Steht eine Aktie
mehreren Berechtigten zu, so können sie die Rechte aus der Aktie gemäß § 69
Abs. 1 AktG nur durch einen gemeinschaftlichen Vertreter ausüben. Zudem muss
auch aus der Regelung über die Empfangszuständigkeit von Willenserklärungen
gegenüber mehreren Erben in § 69 Abs. 3 Satz 2 AktG die Schlussfolgerung
gezogen werden, dass die Erbengemeinschaft vom Regelungsgehalt des § 69 AktG
erfasst sein muss. Die weitere Voraussetzung des § 69 Abs. 1 AktG in Form der
Bestellung eines gemeinsamen Vertreters durch die Antragstellerin ist
gleichfalls zu bejahen, weil in einem Rechtsstreit ein gemeinsamer Verfahrensbevollmächtigter
zugleich deren Vertreter gegenüber der Gesellschaft oder nach einer das
Aktieneigentum berührenden Strukturmaßnahme wie einen Squeeze out gegenüber dem
Hauptaktionär sein kann (vgl. Bezzenberger in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., §
69 Rdn. 7a).
Dann aber kann der Erbengemeinschaft ein Recht zustehen. Als Aktionärin
hat sie nämlich einen Anspruch auf eine angemessene Kompensation. Damit
einhergehen muss aber die verfahrensrechtliche Möglichkeit, die Angemessenheit
der von der Hauptversammlung beschlossenen Kompensation in einem Spruchverfahren
gerichtlich überprüfen zu lassen. Folglich muss die Erbengemeinschaft auch
beteiligtenfähig im Sinne der §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 8 Nr. 2 FamFG sein. Doch
selbst die Gegenauffassung konzediert, dass dann die einzelnen Erben, an deren
Stellung die Kammer keinen begründeten Zweifel hegt, als Antragsteller
anzusehen sind (vgl. OLG Stuttgart ZIP 2019, 1218, 1219; OLG Frankfurt NZG
2020, 339, 340 = ZIP 2020, 810, 811).