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Freitag, 3. November 2023

OLG Düsseldorf: Keine eigenständigen Geschäftswerte für die einzelnen Spruchanträge der Antragsteller vor Verbindung

Angesichts einer Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem LG Düsseldorf durfte sich das OLG Düsseldorf mit den Geschäftswerten bei einem Spruchverfahren (hier zum Squeeze-out bei der Friseurkette Esanelle) auseinandersetzten. Nach einer Insolvenz der Antragsgegnerin war dieses Spruchverfahren erfolglos geblieben.

Der Bezirksrevisor hatte argumentiert, dass die Verbindung mehrerer Verfahren zu einem einheitlichen Verfahren keine rückwirkende Kraft habe. Entsprechend der Anzahl von 39 Antragstellern seien daher 39 Gebühren nach Nummer 13500 KV GNotKG angefallen.

Dem widerspricht das OLG deutlich. Das Landgericht habe zutreffend den Mindestwert von 200.000 € festgesetzt.

Aus den Gründen:

Unzulässigkeit, da Beschwerde nicht fristgerecht

"1. Der Senat sieht die gem. § 83 GNotKG statthafte Beschwerde schon als unzulässig an, weil sie nicht fristgerecht erhoben wurde.

Die Festsetzung des Geschäftswerts durch das Landgericht kann mit der Beschwerde nach § 83 Abs. 1 GNotKG entsprechend § 79 Abs. 2 S. 2 GNotKG nur bis sechs Monate nach Rechtskraft in der Hauptsache angefochten werden, sofern der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 € übersteigt oder das Gericht sie zugelassen hat.

Der Geschäftswert darf nur innerhalb gewisser zeitlicher Grenzen abänderbar sein, weil von ihm die Höhe der Gerichtskosten und der Anwaltsgebühren abhängt. Aus Gründen der Rechtssicherheit begrenzt § 79 Abs. 2 S. 2 GNotKG daher die Änderungsmöglichkeit zeitlich dahin, dass eine Änderung des Geschäftswerts nur innerhalb von sechs Monaten zulässig ist, nachdem die Entscheidung wegen des Hauptgegenstands - hier: die Entscheidung über die Angemessenheit der Barabfindung für die durch Squeeze-out auf die HairGroup AG übertragenen Aktien der Minderheitsaktionäre der Essanelle Hair Group AG - Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat (s. dazu Korintenberg/Wilsch, GNotKG, 22. Aufl. 2022, § 79 Rn. 32; BeckOK KostR/El Duwaik, 42. Ed. 1.7.2023, § 79 GNotKG Rn. 26 f.; Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 4. Aufl. 2021, § 79 Rn. 63 f.; NK-GK/Fackelmann, 3. Aufl. 2021, § 79 GNotKG Rn. 38)."

Keine eigenständige Geschäftswerte für die einzelnen Anträge der Antragsteller 

"2. Ungeachtet dessen kann das Rechtsmittel aber auch in der Sache keinen Erfolg haben. Für eine Änderung des vom Landgericht mit seiner Endentscheidung nach Maßgabe des § 74 GNotKG für das Spruchverfahren auf 200.000 € festgesetzten (Mindest-)Geschäftswerts ist kein Raum. Zu Recht hat das Landgericht es abgelehnt, für den Zeitraum vor der Verbindung eigenständige Geschäftswerte für die einzelnen Anträge der Antragsteller anzusetzen. 

2.1. In Verfahren nach dem Spruchverfahrensgesetz gelten für die Gerichtskosten die Vorschriften des GNotKG (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 GNotKG), insbesondere die aus § 15 SpruchG a.F. übernommenen Regelungen zum Auslagenvorschuss in § 14 Abs. 3 S. 2 GNotKG, zum Kostenschuldner in § 23 Nr. 14 GNotKG und zum Geschäftswert in § 74 GNotKG (Übersicht bei Dreier/Fritzsche/Verfürth, SpruchG, 2. Aufl. 2016, § 15 Rn. 1). Diese Bestimmungen tragen den Besonderheiten des Spruchverfahrens, ei-nem Verfahren sui generis, Rechnung. Das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren vor den Landgerichten dient der Bestimmung angemessener Ausgleichszahlungen bzw. Abfindungen bei verschiedenen Strukturmaßnahmen von Unternehmen. Das Spruchverfahren wird vom Gesetz zur Verfügung gestellt, damit solche Maßnahmen nicht durch Anfechtungsklagen von Minderheitsaktionären blockiert werden, für diese aber die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der ihnen angebotenen Kompensation und damit effektiver Rechtsschutz garantiert wird (BT-Drs. 15/371, S. 11; BeckOGK/Drescher, 1.7.2023, § 1 SpruchG Rn. 1). Es handelt sich um ein spezielles Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor den ordentlichen Gerichten, das gem. § 71 Abs. 2 Nr. 4e GVG erstinstanzlich den Landgerichten zugewiesen ist und verfahrensrechtliche Exklusivität genießt (Hölters/Weber/Simons, AktG, 4. Aufl. 2022, § 1 SpruchG Rn. 1; Koch, AktG, 17. Aufl. 2023, § 1 SpruchG Rn. 2 f.; MünchKomm-AktG/Krenek, 6. Aufl. 2023, § 1 SpruchG Rn. 3; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl. 2022, vor § 1 SpruchG Rn. 7; Dreier/Fritzsche/Verfürth, SpruchG, a.a.O., Einleitung Rn. 7).

Der Geschäftswert für das Spruchverfahren bemisst sich nach § 74 GNotKG. Er trägt dem Umstand Rechnung, dass die Entscheidung in dem Spruchverfahren nach § 13 S. 2 SpruchG materielle Rechtskraft für und gegen alle entfaltet und daher nicht nur für und gegen die Verfahrensbeteiligten, sondern auch für und gegen alle übrigen nicht formell am Verfahren beteiligten Anteilsinhaber wirkt. Er bestimmt sich daher grundsätzlich nach dem Betrag, der von allen Antragsberechtigten nach der Entscheidung des Gerichts zusätzlich zu dem ursprünglich angebotenen Betrag insgesamt gefordert werden kann; mindestens beträgt er 200.000 €, höchstens 7,5 Mio. €. Damit folgt das Gesetz im Grundsatz der schon vor dem SpruchG bestehenden Praxis der Gerichte, sich bei der Festlegung des Geschäftswerts an dem Gesamtbetrag der zusätzlichen Zahlungsverpflichtungen, die sich aus der Entscheidung ergaben, zu orientieren (vgl. nur: Lutter/Mennicke, UmwG, 6. Aufl. 2019, § 15 SpruchG Rn. 4). Dabei kommt es auf den Erhöhungsbetrag an, der sich für sämtliche kompensationsberechtigten Anteilsin-haber (d.h. nicht lediglich den tatsächlichen Antragstellern) nach der Entscheidung im Spruchverfahren ergibt, d.h. maßgeblich ist die Differenz zwischen dem angebotenen und dem vom Gericht festgesetzten Betrag, multipliziert mit der Gesamtzahl aller „außenstehenden“ Anteile (BT-Drs. 15/371, S. 17). Durch die Untergrenze von 200.000 € soll der Aufwand des Gerichts auch für den Fall abgegolten werden, dass kein oder ein nur sehr geringer zusätzlicher Abfindungsbetrag festgesetzt wird (Klöcker/Wittgens in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 15 SpruchG Rn. 4; Emmerich/Habersack, a.a.O., § 15 SpruchG Rn. 5 ff.; m.w.N.). Die Obergrenze von 7,5 Mio. € soll das Kostenrisiko für die Verfahrensbeteiligten begrenzen. Die Festsetzung des Geschäftswerts erfolgt von Amts wegen, sobald eine Entscheidung über den gesamten Verfahrensgegenstand ergeht (§ 79 Abs. 1 S. 1 GNotKG).

Kostenschuldner der Gerichtskosten ist grundsätzlich allein der Antragsgegner (§ 23 Nr. 14 GNotKG), denn die einzelnen Antragsteller, die unter Umständen selbst nur eine relativ geringe Erhöhung der Kompensation erreichen können, sollen nicht mit den Kosten für die Wahrung der Interessen anderer Antragsberechtigter belastet und ihnen so faktisch das Spruchverfahren in den meisten Fällen wegen des Kostenrisikos verbaut werden (BT-Drs. 15/371, S. 17). § 23 GNotKG ist lex specialis zur Antragstel-lerhaftung nach § 22 GNotKG, die durch die vorrangige Regelung verdrängt wird (BeckOK KostR/Diehn, a.a.O., § 23 GNotKG Rn. 1, 2; BeckOK KostR/Klahr, § 56 GNotKG Rn. 394).
Vorschuss auf die Gebühren kann daher nicht verlangt werden, denn eine Vorschuss-pflicht nach § 13 S. 1 GNotKG besteht erstinstanzlich nur in Antragsverfahren, wenn der Antragsteller gem. § 22 Abs. 1 GNotKG die Kosten schuldet. Ist - wie hier - ein anderer Kostenschuldner, ist sowohl die Abhängigmachung wegen des Fehlens einer gesonderten Rechtsgrundlage, aber auch die Vorschusserhebung unzulässig (NK-GK/Volpert/Büringer, a.a.O., § 13 GNotKG Rn. 1; zu § 306 Abs. 7 S. 1 AktG a.F.: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 07.08.2003 – 2 W 169/03-37, AG 2004, 217, 218; Münch-KommAktG/Bilda, 2. Aufl. 2000, § 306 Rn. 133). Allein für Auslagen, insbesondere die Kosten eines Sachverständigengutachtens, kann Vorschuss eingefordert werden. Vorschussschuldner ist insoweit der Antragsgegner (§ 14 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 24 Nr. 14 GNotKG); von den Antragstellern kann dagegen grundsätzlich kein Kostenvorschuss angefordert werden (BT-Drs. 15/371, S. 17; BeckOGK/Drescher, a.a.O., § 15 SpruchG Rn. 23; Emmerich/Habersack, a.a.O., § 15 SpruchG Rn. 26; zur alten Rechtslage: Senat, Beschl. v. 14.03.2011 - I-26 W 10/10 (AktE), AG 2011, 459, 460).

Erst nach Verbindung aller Anträge kann das gesetzlich vorgesehene Spruchverfahren durchgeführt werden. Die Verbindung, die gem. § 2 Abs. 2 Nr. 8 SpruchG in die Zu-ständigkeit des Vorsitzenden fällt, ist zwar nicht ausdrücklich vorgeschrieben, aber zwingend sachdienlich (§ 20 FamFG). Das folgt schon aus der inter-omnes-Wirkung der abschließenden Entscheidung entsprechend § 13 S. 2 SpruchG (Senat, Beschl. v. 18.08.2016 – I-26 W 12/15 (AktE), Rn. 72; MünchKommAktG/Krenek, a.a.O., § 7 SpruchG Rn. 16; Kölner Komm SpruchG/Dorn, 4. Aufl. 2022, § 7 Rn. 16, 45). Die Entscheidung entfaltet materielle Rechtskraft für und gegen alle, so dass sie nicht nur für und gegen Antragsteller, Antragsgegner und gemeinsamen Vertreter, sondern auch für und gegen alle übrigen nicht formell am Verfahren beteiligten Anteilsinhaber wirkt.

Für das Verfahren entsteht grundsätzlich eine Verfahrensgebühr mit einem Gebühren-satz von 2,0 gem. Nr. 13500 KV GNotKG (Anl. 2 zu § 34), die die gesamte Tätigkeit des Gerichts vom Antragseingang bis zur Verfahrensbeendigung abgilt (Tous-saint/Benner, 53. Aufl. 2023, GNotKG Abs. KV 13500 Rn. 3; BeckOK KostR/Klahr, § 56 GNotKG Rn. 353 ff.). Ihre Fälligkeit richtet sich nach § 9 GNotKG, so dass Fälligkeit mit der Folge des endgültigen Kostenansatzes erst mit Beendigung des Verfahrens eintritt (Bormann/Diehn/Sommerfeldt, a.a.O., GNotKG KV 13500 Rn. 5).

Nach Maßgabe dessen kommt eine Festsetzung des Geschäftswerts für das Spruchverfahren entsprechend § 79 GNotKG erst in Betracht, wenn eine Entscheidung über den gesamten Verfahrensgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. Dementsprechend hat das Landgericht mit dem das erstinstanzliche Verfahren abschließenden Beschluss den Geschäftswert für das hier zugrunde liegende Spruchverfahren, das nach seiner Entscheidung nicht zu einer Abänderung der Kompensation geführt hat, zutreffend auf den Mindestwert von 200.000 € festgesetzt."

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Oktober 2023, Az. I-26 W 6/23 AktE

Spruchverfahren Squeeze-out Essanelle:
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. September 2021, Az. I-26 W 1/19 AktE
LG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Juni 2018, Az. 35 O 11/15 AktE
Zürn u.a. ./. Klier Hair Group GmbH (bisher: HairGroup GmbH, früher: HairGroup AG, zuvor: Essanelle Hair Group AG)

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