von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
In dem
Spruchverfahren zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre bei der Axel
Springer SE hat das Landgericht Berlin II (kürzliche Aufspaltung des LG Berlin für Zivilsachen) zunächst die Sache am 6. Februar 2024 mündlich verhandelt. Mit Beschluss vom 12. April 2024 hat das Gericht eine Beweiserhebung durch ein schriftliches Sachverständigengutachten angeordnet. Hierfür wurde Herr WP Dr. Lars Franken (c/o IVC Independet Valuation & Consulting Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Essen) zum Sachverständigen bestellt.
Der Sachverständige soll nach den Vorgaben des Gerichts prüfen, ob der Ertragswert der Axel Springer SE zutreffend berechnet worden ist. Im Einzelnen soll er folgende Fragen klären:
"Das Gutachten soll zu den folgenden Fragen beziehungsweise Aspekten der vorliegenden Bewertung Stellung nehmen:
1. a) Sind die dem Bewertungsgutachten für die Detailplanungsphase zugrunde liegenden Planungsannahmen konsistent und plausibel?
Dies gilt insbesondere für die in der geänderten Planung vom verarbeiteten Negativeffekte aufgrund
der Corona-Pandemie – hier stellt sich auch unter Berücksichtigung der
maßgeblichen ex-ante-Perspektive die Frage, ob die Änderungen sowohl
nach dem Erkenntnisstand April 2020 (Zeitpunkt der Erstellung der
Gutachten) als auch zum Bewertungsstichtag als vertretbar anzusehen waren.
Für zweifelhaft hält die Kammer insbesondere den Umstand, dass nach Vorlage der ursprüngli-
chen Planung aus dem Februar 2020 erkennbar ist, dass in der Neuplanung vom Juni 2020 – entgegen
der Darstellung der Antragsgegnerin davon ausgegangen wird – dass es
bis zum Ende der Detailplanungsphase nicht zu einer vollständigen
Aufholung der Konzernergebnisse auf den Planungsstand vor der Pandemie
kommen wird. Dies ist vor allem angesichts der Prämisse, dass bei einer
Bewertung nach IDW S1 von „mittleren“ Planannahmen auszugehen ist, kaum
nachvollziehbar.
In diesem Zusammenhang ist auch die Plausibilität der in der Detailplanungsphase zur Realisie-
rung
des dort angenommenen Wachstums vorgesehenen Investitionen zu
überprüfen, zumal die EBIT-Margen nach der angepassten Planung vom Juni
2020 trotz dieses erhöhten Aufwand in den Segmenten Classifieds Media
und News Media hinter den Werten der Jahre 2017/2018 zurückbleiben sollen.
b) Sind die Annahmen für die ewige Rente konsistent und plausibel?
Angesichts des zum Ende des Detailplanungszeitraums noch überdurchschnittlichen organischen
Wachstums - vor allem in den digitalen Bereichen der Gesellschaft wie
dem Segment „Classifieds Media“ - erscheint fraglich, ob tatsächlich
bereits ein eingeschwungener Zustand erreicht sein wird.
Angesichts eines für das letzte Planjahr 2024 veranschlagten Wachstums der einzelnen Bereiche
zwischen 7 % und 14 % segmentbezogen beziehungsweise 10 % konzernweit
erscheint ein plötzliches „Einbrechen“ dieses Wachstums auf den für die
ewige Rente angenommenen Wachstumsabschlag in Höhe von 1,75 % der Kammer
nicht plausibel.
Sollte vor diesem Hintergrund noch nicht von einem
eingeschwungenen Zustand auszugehen sei, dürfte die Einfügung einer
Konvergenzphase naheliegen. Offensichtlich ist die Problematik auch von
der Bewertungsgutachterin sowie der Prüferin gesehen worden, ohne dass
die entsprechenden Überlegungen allerdings hinreichend transparent geworden sind.
Zwar mag rein mathematisch der Ansatz eines höheren Wachstumsabschlags zu einem identischen Ertragswert führen. Grundsätzlich ist es aus bewertungstechnischer Sicht aber vorzugswürdig,
die Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen der Beharrungszustand
erreicht ist, von der Frage zu trennen, in welcher Höhe ein dauerhafter
Wachstumsabschlag anzusetzen ist.
2. a) Basiszinssatz
Der Sachverständige soll den zum Bewertungsstichtag maßgeblichen Basiszinssatz (erneut) ermitteln. Soweit dieser negativ ist, soll der Sachverständige sich zu der Problematik verhalten, ob wegen des theoretischen Unendlichkeitshorizonts einer Bewertung nach IDW S1 aus bewertungstheoretischer und ökonomischer Sicht dauerhaft von einem negativen Zinssatz ausgegangen
werden kann. Dies erscheint insbesondere deswegen fraglich, als die
Zinsentwicklung zum einen durch staatliche Eingriffe bedingt wurde und
zum anderen Marktakteure kaum grundsätzlich und dauerhaft bereit sein dürften, eine Vergütung für die Überlassung von Geld zu zahlen.
b) Betafaktor
Der
eigene (historische) Betafaktors der Gesellschaft ist erneut anhand
aller verfügbaren Daten auf seine Verwertbarkeit zu analysieren.
Soweit
der Sachverständige für die Bestimmung des zukünftigen Betas der Axel
Springer SE gleichfalls auf eine oder mehrere Peer Groups abstellt, sind
die von der Bewertungsgutachterin und der Barabfindungsprüferin
verwendeten Unternehmen kritisch auf die Vergleichbarkeit der jeweils zugrunde liegenden Geschäftsmodelle mit den einzelnen Einheiten des Springer-Konzerns
zu untersuchen. Soweit sich weitere börsennotierte Unternehmen
identifizieren lassen, welche besser oder in gleichem Maße mit den
Geschäftszweigen der Gesellschaft vergleichbar sind, sind auch diese
hinsichtlich ihrer Eignung als Vergleichsunternehmen zu untersuchen und
in die Peer Group aufzunehmen.
Hinsichtlich des Ergebnisses bei Verwendung einer Peer Group soll der Sachverständige sodann
prüfen, ob ein so ermittelter Durchschnittswert unverändert zu
übernehmen ist oder ob es sich aufgrund des in der Vergangenheit relativ
stabilen Betafaktors der Axel Springer SE anbietet, im Rahmen der
ohnehin vorzunehmenden Schätzung Anpassungen vorzunehmen. Hierbei sind
auch die Einwände der Antragsgegnerin zu berücksichtigen, dass der
originäre Betafaktor „verzerrt“ gewesen ist und sich das Geschäftsmodell
der Gesellschaft zum Ende des Detailplanungszeitraum zu sehr vom historischen Zuschnitt entfernt hat, um auf Vergangenheitsdaten zurückgreifen zu können.
c) Wachstumsabschlag
In Verbindung mit den Annahmen zur ewigen Rente ist die Höhe des angemessenen Wachstumsabschlags neu zu bestimmen.
3. Schließlich ist unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Begutachtung ein Abfindungsbetrag zu errechnen."
Das Landgericht hat Herrn Dr. Lars Franken, c/o IVC Independent Valuation & Consulting Aktiengesellschaft Wirtschafstprüungsgesellschaft, zum Sachverständigen bestellt.
LG Berlin II, Az. 102 O 13/21 SpruchGCoriolix Capital GmbH u.a. ./. Traviata B.V.
59 Antragsteller
gemeinsamer Vertreter: RA Dr. Peter Dreier, 40213 Düsseldorf
Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin:
Rechtsanwälte Freshfields Bruckhaus Deringer PartGmbB, 40545 Düsseldorf