Sonntag, 2. Juli 2023

LG München I zur Beteiligtenfähigkeit einer Erbengemeinschaft in einem Spruchverfahren

Leitsatz:

Eine Erbengemeinschaft ist in einem Spruchverfahren angesichts der Besonderheiten des Aktienrechts beteiligtenfähig.

LG München I, Beschluss vom 30. Juni 2023, Az. 5 HK O 4509/21

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerin zu 30) als Erbengemeinschaft ist entgegen Teilen der Rechtsprechung und Literatur (vgl. OLG Stuttgart AG 2019, 262 = ZIP 2019, 1218, 1219; OLG Frankfurt NZG 2020, 339, 340 = ZIP 2020, 810, 811; Drescher in: Beck OGK SpruchG, Stand: 1.4.2023, § 3 Rdn. 27) zu bejahen. Nach §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 8 Nr. 2 FamFG sind beteiligtenfähig Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann. 

Der BGH hat zwar bezüglich der Partei- und Rechtsfähigkeit einer Erbengemeinschaft wiederholt entschieden, dass diese zu verneinen sei, weil die Miterbengemeinschaft nicht auf Dauer, sondern auf Auseinandersetzung angelegt sei und nicht über eigene Organe verfüge, durch die sie im Rechtsverkehr handeln könnte; deshalb soll sie kein eigenständiges, handlungsfähiges Rechtssubjekt sein, sondern lediglich eine gesamthänderisch verbundene Personenmehrheit, der mit dem Nachlass ein Sondervermögen zugeordnet ist (vgl. BGH NJW 2002, 3389, 3390 = WM 2002, 393, 394 = WuM 2002, 601, 602 = NZM 2002, 950, 951 = FamRZ 2002, 1621 f. = RPfleger 2002, 625 f. = ZMR 2002, 907, 908 = MDR 2002, 81; NJW 2006, 3715 f. = WuM 2006, 695 = NZM 2006, 944, 945 = FamRZ 2007, 41, 42 = DNotZ 2006, 134, 135 = RPfleger 2007, 75, 76 = ZMR 2007, 26, 27; Staudinger-Löhnig, BGB, Neubearb. 2020, § 2032 Rdn. 10; Palandt-Weidlich, BGB, 82. Aufl., Einf v § 2032 Rdn. 1; Erman-Bayer, BGB, 16. Aufl., § 2032 Rdn. 1; a.A. Grunewald AcP 197 [1997], S. 305 ff.; Eberl-Boges ZEV 2002, 125, 127 ff.). 

Die Kammer muss nicht abschließend entscheiden, inwieweit der von der überwiegend vertretenen Auffassung zur fehlenden Rechts- und Parteifähigkeit einer Miterbengemeinschaft zu folgen ist. Die vom BGH im Zivilprozessrecht entwickelten Grundsätze lassen sich nämlich angesichts der Besonderheiten des Aktienrechts nicht auf die Beteiligtenfähigkeit im Spruchverfahren übertragen. Die über die Verweisungsnorm des § 17 Abs. 1 SpruchG anwendbare Regelung des § 8 Nr. 2 FamFG geht nämlich von einem im Vergleich zur Parteifähigkeit des § 50 ZPO weiteren Begriff der Beteiligtenfähigkeit aus, der dazu führt, dass angesichts der Besonderheiten des materiellen Aktienrechts eine Miterbengemeinschaft Beteiligte eines Spruchverfahrens sein kann. Es ist weithin unstreitig, dass eine Miterbengemeinschaft Aktien halten kann, wie dies insbesondere von § 69 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 AktG vorausgesetzt wird (vgl. nur Staudinger-Löhnig, BGB, a.a.O., § 2032 Rdn. 57; Cahn in: BeckOGK AktG, Stand: 1.4.2023, § 69 Rdn. 7; Bezzenberger in: Schmidt/Lutter, a.a.O., § 69 Rdn. 3; Lohr in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 69 Rdn. 4). Steht eine Aktie mehreren Berechtigten zu, so können sie die Rechte aus der Aktie gemäß § 69 Abs. 1 AktG nur durch einen gemeinschaftlichen Vertreter ausüben. Zudem muss auch aus der Regelung über die Empfangszuständigkeit von Willenserklärungen gegenüber mehreren Erben in § 69 Abs. 3 Satz 2 AktG die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Erbengemeinschaft vom Regelungsgehalt des § 69 AktG erfasst sein muss. Die weitere Voraussetzung des § 69 Abs. 1 AktG in Form der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters durch die Antragstellerin ist gleichfalls zu bejahen, weil in einem Rechtsstreit ein gemeinsamer Verfahrensbevollmächtigter zugleich deren Vertreter gegenüber der Gesellschaft oder nach einer das Aktieneigentum berührenden Strukturmaßnahme wie einen Squeeze out gegenüber dem Hauptaktionär sein kann (vgl. Bezzenberger in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 69 Rdn. 7a). 

Dann aber kann der Erbengemeinschaft ein Recht zustehen. Als Aktionärin hat sie nämlich einen Anspruch auf eine angemessene Kompensation. Damit einhergehen muss aber die verfahrensrechtliche Möglichkeit, die Angemessenheit der von der Hauptversammlung beschlossenen Kompensation in einem Spruchverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen. Folglich muss die Erbengemeinschaft auch beteiligtenfähig im Sinne der §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 8 Nr. 2 FamFG sein. Doch selbst die Gegenauffassung konzediert, dass dann die einzelnen Erben, an deren Stellung die Kammer keinen begründeten Zweifel hegt, als Antragsteller anzusehen sind (vgl. OLG Stuttgart ZIP 2019, 1218, 1219; OLG Frankfurt NZG 2020, 339, 340 = ZIP 2020, 810, 811).

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