Mittwoch, 17. Juni 2020

OLG Karlsruhe: Eine vermögensverwaltende, nicht mehr operativ tätige Gesellschaft kann nach dem NAV-Verfahren bewertet werden

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Mai 2020, Az. 12 W 17/19

Leitsatz:

Die Unternehmensbewertung einer nicht mehr operativ tätigen vermögensverwaltenden Gesellschaft oder einer Immobiliengesellschaft kann nach dem Net Asset Value-Verfahren erfolgen.

Aus den Gründen:

„2) Ausschlaggebend ist vielmehr, dass durchgreifende Sachgründe dafür sprechen, den Unternehmenswert hier nicht mithilfe der Ertragswert-, sondern anhand der NAV-Methode zu schätzen.

(a) Bei der NAV-Methode handelt es sich um ein allgemein anerkanntes Bewertungsverfahren, soweit es um die Bewertung von vermögensverwaltenden oder Immobiliengesellschaften geht (OLG München, AG 2020, 56 [juris Rn. 52]; OLG Frankfurt, ZIP 2017, 772 [juris Rn. 35]; Gutachten Vo S. 25). Als Nettoinventarwert hat der NAV nach Maßgabe von § 168 KAGB zwischenzeitlich Eingang in die gesetzliche Bewertung offener inländischer Publikumsinvestmentvermögen gefunden (vgl. Kayser/Selinski in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB 2. Aufl. § 168 Rn. 10).   (…)

(b) In Anbetracht der Unternehmensstruktur der Gesellschaft erscheint es sachgerecht, der NAV-Methode gegenüber dem Ertragswertverfahren hier den Vorzug zu geben.

Die Bewertung nach der NAV-Methode führt im Streitfall nicht zu denselben Schwierigkeiten wie das Ertragswertverfahren. Der Ertragswert bestimmt sich nach dem abgezinsten Zukunftsertrag des Unternehmens (BGH, Beschluss vom 29.09.2015 - II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rn. 36). Die insoweit erforderliche Bewertung des Zukunftsertrags führt im Falle von vermögensverwaltenden Gesellschaften, insbesondere solchen, die in Immobilien investieren, zu erheblichen Problemen, weil sich diese Unternehmen auch durch einmalige Gewinne und Verluste aus Veräußerungsgeschäften auszeichnen (vgl. OLG München, AG 2020, 56 [juris Rn. 54]); diese lassen sich kaum prognostizieren und damit schwerlich im Ertragswertverfahren erfassen. Entsprechende Schwierigkeiten stellen sich beim NAV-Verfahren nicht. Der NAV ergibt sich nach den Ausführungen des sachverständigen Prüfers, die insoweit in Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung stehen (vgl. OLG München, AG 2020, 56 [juris Rn. 53, 94]; OLG Frankfurt, ZIP 2017, 772 [juris Rn. 31, 55]), aus der Summe der Marktwerte der einzelnen Vermögensgegenstände abzüglich der Verbindlichkeiten der Gesellschaft und des Barwerts der gesamtunternehmensbezogenen Verwaltungskosten (Bericht Wa S. 11; Gutachten Vo S. 25). Danach basiert er nicht auf der Unternehmensplanung der Gesellschaft (Bericht Wa S. 11) und damit auch nicht auf Prognosen zu künftigen Gesamterträgen; vielmehr ist jeder Vermögensgegenstand gesondert zu betrachten, wobei die Einzelbewertung nach der Methode erfolgen kann, die jeweils passend erscheint (OLG München aaO).

Die besonderen Probleme, die mit der Anwendung der NAV-Methode einhergehen, stellen sich im konkreten Fall nicht. Eine zentrale Schwäche des Ansatzes besteht darin, dass er etwaige Verbundvorteile zwischen den einzelnen Vermögensgegenständen des untersuchten Unternehmens nicht abbildet und damit bei der Wertermittlung nicht berücksichtigt (OLG München aaO Rn. 58). Dieser Nachteil wirkt sich hier indessen nicht aus, weil die Gesellschaft laut der Einschätzung des sachverständigen Prüfers (Bericht Wa S. 14) keine Synergieeffekte durch das Zusammenwirken von Anlagen erzielt, nachdem sie ihren operativen Geschäftsbetrieb bereits vor Jahrzehnten eingestellt hat. Damit in Einklang steht die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen, laut der immaterielle Wertfaktoren bei der Gesellschaft keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen und es an einem Zusammenwirken der Einzelinvestments fehle, aus dem sich ein Mehrwert gegenüber der Summe der Einzelwerte ergäbe (Gutachten Vo S. 25, 153). So werde der Wert entsprechender Unternehmen von untereinander unabhängigen Vermögensgegenständen und Schulden sowie den daraus fließenden Zahlungsströmen bestimmt (Schreiben des Sachverständigen Vo vom 18.03.2016, S. 2)."

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