Donnerstag, 16. Dezember 2021

ANZAG-Entscheidung des OLG Frankfurt am Main: Schätzung des Unternehmenswerts anhand des Vorerwerbspreises

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 13. September 2021, Az. 21 W 38/15 -
Squeeze-out bei der Andreae-Noris Zahn AG (ANZAG)

Leitsatz:

Die Schätzung des Unternehmenswertes zur Festsetzung der Barabfindung kann im Einzelfall anhand eines Vorerwerbspreises erfolgen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die 
Vertragsverhandlungen auf Augenhöhe erfolgten und ein Paketzuschlag ausgeschlossen werden kann.


In dem Spruchverfahren zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre bei der Andreae-Noris Zahn AG (ANZAG) hatte das Landgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 25. November 2014 die Barabfindung auf EUR 32,72 je ANZAG-Aktie festgelegt (Erhöhung um ca. 12,74 %), siehe: https://spruchverfahren.blogspot.com/2014/12/spruchverfahren-zum-squeeze-out-anzag.html

Das OLG Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 13. September 2021 die gegen diese Entscheidung von der Antragsgegnerin und von mehreren Antragsteller eingelegten Beschwerden zurückgewiesen. Es bleibt damit bei der erstinstanzlichen Erhöhung.

Das OLG begründet dies mit dem in diesem Fall von der Antragsgegnerin gezahlten Vorerwerbspreis, da dieser keinen Paketzuschlag enthalte.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Grundsatz: Vorerwerbspreise spielen keine Rolle. Tz. 32 nach juris)

"33 2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann im vorliegenden Fall ausnahmsweise der Wert des Unternehmens anhand des bei dem letzten außerbörslichen Erwerb eines umfangreichen Aktienpaktes durch die Antragsgegnerin in Höhe von 32,72 € gezahlten Kaufpreises geschätzt werden.

34 Denn nach den von dem Senat durchgeführten weiteren Ermittlungen zum Ertragswert steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der vereinbarte Kaufpreis keinen Paketzuschlag enthält, sondern den Verkehrswert des Unternehmens angemessen widerspiegelt. Bei einer Schätzung des Unternehmenswertes anhand der Ertragswertmethode unter Berücksichtigung des von dem Senat regelmäßig als vorzugswürdig angesehenen raw-Betas wird der Kaufpreis mit einem festgestellten Abfindungsbetrag in Höhe von 32,91 € nahezu vollständig bestätigt. Im Hinblick auf die sich bei jeweils gleichermaßen vertretbaren Annahmen bezüglich des Beta-Faktors und der Festlegung des Forward-Wechselkurses in der ewigen Rente ergebenden alternativen Ertragswerte, die bis auf den im Übertragungsbericht angesetzten Wert mit 29,02 € im Bereich oder über dem Kaufpreis von 32,72 € liegen, ist ein Paketzuschlag nicht ersichtlich und eine Abänderung des mit 32,72 € festgesetzten Abfindungsbetrages daher nicht veranlasst.

35 a) Der im Juni 2012 gezahlte Vorerwerbspreis kann in Verbindung mit dem Ertragswert des Unternehmens als geeignete Schätzgrundlage herangezogen werden. Hingegen erweist sich der durchschnittliche Vorerwerbspreis angesichts des Schwerpunktes im Jahr 2010 und der großen Entfernung zum Bewertungsstichtag nicht als geeigneter Schätzer.

36 Dabei kann dem Landgericht im Ausgangspunkt dahingehend gefolgt werden, dass es sich auch bei Vorerwerbspreisen um Marktpreise handelt, denen daher auch eine Eignung als Schätzgrundlage nicht von vornherein vollständig abgesprochen werden kann. Nicht gefolgt werden kann dem Landgericht indes hinsichtlich des Begründungsansatzes, soweit abstrakt auf die Ungeeignetheit des Ertragswertverfahrens abgestellt wird. (...)

37 Bislang wurde in der Rechtsprechung auch des Senats ein - jedenfalls ausschließliches - Abstellen auf Vorerwerbe wegen eines regelmäßig angenommenen Paketzuschlages abgelehnt. Bereits in der Entscheidung des Senats vom 08.09.2020 (21 W 121/15) war allerdings zu konstatieren, dass der von dem Senat nach langen und kostenintensiven Ermittlungen geschätzte Ertragswert fast identisch mit dem - der Schätzung der erstinstanzlichen Entscheidung zugrunde gelegten - Vorerwerbspreis war (Senat, aaO, juris Rn. 37). In der Literatur wird die Verwendung von Vorerwerbspreisen als Marktpreise dann in Betracht gezogen, wenn diese frei verhandelt werden können. Diese könnten als wichtiger Wertindikator verwendet werden, wobei eine sorgfältige Analyse der Umstände erforderlich sei (vgl. Leverkus in Fleischer/Hütter, Rechtshandbuch der Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, Rn. 19.121 ff mwN; Rn. 19.140,19.141). Ein Vorerwerbspreis kann danach dann aussagekräftig sein, wenn die Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erfolgt ist, der Kaufpreis sich als Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Käufer und Verkäufer am Markt gebildet hat und von unveränderten Verhältnissen am Bewertungsstichtag auszugehen ist. Zudem muss der für einen Anteil am Unternehmen gezahlte Preis auf alle Anteile des Unternehmens hochgerechnet werden können (Leverkus, aaO, Rn. 19.4 ff).

Vertragsverhandlungen auf Augenhöhe

38 Vorliegend wurden mit dem „Share Sale Agreement“ vom 18.06.2012 von mehreren Aktionären insgesamt 1.508.462 Aktien erworben, welches einem Anteil am Unternehmen in Höhe von 14,13 % entspricht. Dabei wurden sämtliche Verkäufer von der E GmbH vertreten, die Verhandlungspartnerin der Antragsgegnerin war. Der Erwerb liegt in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Bewertungsstichtag am 23.07.2012. Zwar wurde mit diesem Aktienpaket der für die beabsichtigte Durchführung des Squeeze-Out erforderliche Schwellenwert von 95 % erreicht, so dass die Annahme eines Paketzuschlags naheliegt. So liegt der verhandelte Kaufpreis ca. 13 % über dem als Untergrenze ermittelten Börsenkurs in Höhe von 28,65 €. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass hier durch die Bündelung der Verkäuferinteressen durch die E GmbH davon ausgegangen werden kann, dass der Verkäuferseite eine angemessene Informationsgrundlage für die Preisbildung zur Verfügung stand und die Vertragsverhandlungen auf Augenhöhe erfolgen konnten. Es ist daher anzunehmen, dass sich der Kaufpreis als Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Käufer und Verkäufer am Markt bilden konnte. Zudem ist angesichts der zeitlichen Nähe von unveränderten Verhältnissen am Bewertungsstichtag auszugehen ist.

Kaufpreis enthält keinen Paketzuschlag

39 Der Senat ist zudem vorliegend davon überzeugt, dass der derart verhandelte Kaufpreis keinen Paketzuschlag enthält. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass allein ein nach der Ertragswertmethode ermittelter Unternehmenswert unterhalb dieses Preises hinreichend plausibel wäre. Vielmehr bestehen nach den weiteren Ermittlungen hinsichtlich des möglichen Ertragswertes keine begründeten Zweifel mehr, dass es sich bei dem, dem Erwerb vom 18.06.2012 zugrunde gelegten Vorerwerbspreis um einen den wirklichen Wert des Unternehmens widerspiegelnden Marktwert handelt, der der Schätzung zugrunde gelegt werden kann.

40 Es kann daher auch dahinstehen, ob aus der Sicht der Antragsgegnerin diese den - nach ihrem eigenen Vortrag nach „zähem Ringen“ (Bl. 1776 d.A.) - zustande gekommenen Kaufpreis nur akzeptiert hat, weil sie damit die 95 % Schwelle überschreitet. Maßgeblich ist, ob dieser Preis dem Wert des Unternehmens entspricht. Dass dies vorliegend nicht der Fall gewesen sein sollte, ist nicht ersichtlich.

Höherer Wert nach der Ertragswertmethode

41  b) Der anteilige Unternehmenswert zum Bewertungsstichtag beträgt unter Berücksichtigung der von dem Senat als vorzugswürdig angesehenen Verwendung des Raw-Betas im Rahmen des Kapitalisierungszinssatzes ergebenden Korrekturen nach der Ertragswertmethode 32,91 €. Dies spricht für die Angemessenheit des verhandelten Kaufpreises ohne Berücksichtigung eines Paketzuschlages.

42 (...) Eine weitere Aufklärung des Ertragswertes etwa durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist unter Berücksichtigung der bisherigen Verfahrensdauer, der entstandenen und noch entstehenden Kosten sowie des Umstandes, dass angesichts der bei der vorliegenden Bewertung zu beachtenden vielfältigen Besonderheiten auch durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens letztlich sich der allein „wahre“ Unternehmenswert nicht wird feststellen lassen, nicht veranlasst."

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