Frankfurt am Main/Berlin, 6. Mai 2021
Pressemitteilung
- Robert Peres von der Initiative Minderheitsaktionäre sieht erheblichen Handlungsbedarf hinsichtlich Anlegerschutz in der nächsten Legislaturperiode
- Virtuelle Hauptversammlungen verkürzen weiterhin Aktionärsrechte und bedürfen einer zukunftsorientierten Lösung unter Wahrung der Anlegerinteressen
- Reform der Kontrollinstitutionen börsennotierter Gesellschaften notwendig, um Anleger effektiv und zielgerichtet zu schützen
- Börsenwert als Bewertungskriterium im Gegensatz zum Ertragswertverfahren ungeeignet zur Feststellung des inneren Werts bei Delistings und Squeeze-Outs
- Die Lehren aus dem Wirecard-Skandal, die anstehende Neuordnung der BaFin unter dem neuen Chef Mark Branson sowie die sich verändernde politische Kräfteverteilung bieten eine einzigartige Chance, die Rechte von Minderheitsaktionären zu stärken.
Die Initiative Minderheitsaktionäre und die Aktionärsforum Service GmbH haben ein Live-Webinar mit dem Titel "Sind Aktionäre in Deutschland nicht willkommen? Was wir von der nächsten Legislaturperiode erwarten." veranstaltet. Unter den Experten herrschte weitestgehend Konsens, dass auch in der kommenden Legislaturperiode ein erheblicher Handlungsbedarf hinsichtlich der Wahrung von Aktionärsrechten besteht. Dies wird aktuell am Beispiel der virtuellen Hauptversammlung deutlich, die Aktionärsrechte bereits im zweiten Jahr einschränkt. Die Initiative Minderheitsaktionäre sieht aktuell einen günstigen Zeitpunkt für Veränderung hin zu einer Politik, die nicht nur die Interessen der Konzerne im Blick hat, sondern gleichermaßen die Rechte der Minderheitsaktionäre, also deren Eigentümer, berücksichtigt. So setzt sich die Initiative bereits mit Nachdruck für eine zukunftsorientierte und Anlegerinteressen wahrende Lösung für Hauptversammlungen ab dem Jahr 2022 ein.
Die Teilnehmer des von ntv-Moderatorin Katja Dofel moderierten Webinars waren führende Experten aus Politik und Praxis: Robert Peres (Rechtsanwalt und Vorstandvorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre), Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages und Vorsitzender des Rechtsausschusses sowie Mitglied des Finanzausschusses, CDU), Hendrik Schmidt (Corporate Governance Center der Fondsgesellschaft DWS), Prof. Dr. Hans-Ulrich Wilsing (Partner bei Linklaters) und Dr. Martin Weimann (Rechtsanwalt und Autor des Buches "Ertragswert und Börsenwert: Empirische Daten zur Preisfindung beim Delisting").
Deutschland braucht dringend eine Stärkung der Aktionärsdemokratie
In seinem Impulsvortrag "Sind Aktionäre in Deutschland nicht willkommen?" zeigte sich Robert Peres besorgt über den globalen Trend der Schwächung von Aktionärsrechten und eine damit einhergehende Erosion der Aktienkultur. Die Lehren aus dem Wirecard-Skandal und den Kontrollinstanzen wie BaFin und Wirtschaftsprüfer sollten Anlass für eine systematische Stärkung der Aktionärsrechte und Aktienkultur in Deutschland sein - nur rund acht Prozent besitzen hierzulande Wertpapiere. Denn auf Seiten der Gesetzgebung haben Aktionäre in Deutschland nach wie vor einen schweren Stand: War es früher Minderheitsaktionären noch möglich, durch Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen Strukturmaßnahmen gerichtlich nachprüfen zu lassen, ist das heute, nach mehreren Gesetzesnovellen nur noch sehr eingeschränkt der Fall. Und auch das bislang genutzte Spruchverfahren, welches Abfindungsangebote bei Delistings und Squeeze-Outs gerichtlich überprüft, steht auf dem Prüfstand. Eine Benachteiligung der Minderheitsaktionäre ist laut Peres zu befürchten. Hinzu kommen die in der Pandemie weiterhin eingeschränkten Rechte bei Hauptversammlungen.
Peres fasste zusammen: "Es ist oftmals der Widerstand von Corporate Germany, der verhindert, dass faire Lösungen für Minderheitsaktionäre auch gesetzlich verankert werden. Ein gutes Beispiel ist der aktuelle Vorschlag führender Unternehmensanwälte zur Reform der Hauptversammlung, der nach unserer Einschätzung das Ziel verfolgt, die Rechte von Minderheitsaktionären faktisch abzuschaffen. Die Grenzen zwischen Großunternehmen und Politik verwischen immer mehr. Dem Anleger kommt in der Abkehr vom Shareholder Value zum sogenannten Stakeholder-Prinzip nur noch eine Nebenrolle zu. Dabei darf er gerne noch sein Kapital zur Verfügung stellen, sich aber bitte nicht in die Unternehmenspolitik einmischen. Der Zeitpunkt für Veränderung in Deutschland erscheint momentan günstig und wir sehen eine dringende Notwendigkeit für eine Stärkung der Aktionärsdemokratie."
Virtuelle Hauptversammlung weiter mit Defiziten, nachhaltige Lösung im Sinne der Minderheitsaktionäre gefordert
Zum Thema "Die Zukunft des Minderheitenschutzes in der Aktiengesellschaft" diskutierten Hendrik Schmidt, Prof. Dr. Heribert Hirte und Prof. Dr. Hans-Ulrich Wilsing über den Status Quo der Aktionärsdemokratie in Deutschland und über die weltweit zu beobachtende Verwässerung von Aktionärsrechten. Weitestgehend Einigkeit unter den Experten bestand in der Sicht auf die virtuelle Hauptversammlung sowie die unzureichenden Kontrollmechanismen bei BaFin und Wirtschaftsprüfern.
Die sogenannte virtuelle Hauptversammlung, die nun bereits in die zweite Saison geht, verkürzt weiterhin Aktionärsrechte stark. Dies ist insbesondere beim Frage- und Anfechtungsrecht der Fall. Die in der Pandemie geborene Notlösung sollte im Interesse eines konstruktiven Austauschs zwischen Aktionären und Unternehmen daher nicht von Dauer sein. Hendrik Schmidt von der Fondsgesellschaft DWS sagte: "Die in den letzten Wochen erneut zu Tage getretenen Defizite haben ganz klar gezeigt, dass dieses Format nicht zukunftsorientiert und selbst für institutionelle Investoren immer noch mit Hürden belegt ist. Die virtuelle HV bleibt deshalb eine Notlösung und es gibt auch noch keine Regelung, wie es nach 2021 weitergeht. Für uns ist klar, die Aktionärsrechte wie sie im Aktiengesetz vorgesehen und auch als Eigentumsrechte im Grundgesetz verankert sind, müssen erhalten bleiben und Aktionäre dürfen an der Ausübung dieser nicht gehindert werden." Er appellierte zudem: "Die Gesellschaften sollten wieder erkennen, wer ihre Eigentümer sind und welche Schwierigkeiten sie im Dialog mit den Unternehmen in der Pandemie haben. Einige gute Elemente der digitalen Hauptversammlung sollte man erhalten und weiterentwickeln." Heribert Hirte, Mitglied des Rechtsauschusses des Bundestages, führte weiter aus: "Aus meiner politischen Sicht wäre es richtig gewesen, noch für das das Jahr 2022 eine Übergangsregelung zu schaffen. Dafür hätten wir aber auch die Unterstützung der Beteiligten benötigt, allerdings konnten sich Aktionärs- und Unternehmensvertreter nicht auf einen gangbaren Weg einigen. Deshalb werden wir nach dem Stand heute ab 2022 erst einmal zu dem Status vor der Pandemie zurückkommen. Mein Ziel ist es, in der Zukunft die Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung zu schaffen, die alle Beteiligungsrechte gleich der analogen Variante gewährleistet. Insbesondere die Aktionärsrechte wurden in den letzten zwei Jahren doch zu oft verkürzt."
In der Diskussion um das Versagen der Kontrollinstanzen, die vor allem durch den Fall Wirecard offensichtlich geworden sind, sieht Hans-Ulrich Wilsing Defizite im Wirtschaftsprüferrecht und wünscht sich eine Stärkung der Institutionen sowie eine Erhöhung der Haftung. Wilsing sagte: "Was das Wirtschaftsprüferrecht betrifft, wurde ein zu zaghafter Weg bei der Umsetzung eingeschlagen, möglicherweise beeinflusst von der Marktmacht der großen WP-Gesellschaften. Innerhalb des Aktienrechts ist zudem die Stärkung der Institutionen wie der BaFin sehr sinnvoll und auch über eine schärfere und zeitgemäße Haftung der Wirtschaftsprüfer ist nachzudenken." Kritik äußert Hendrik Schmidt zudem an den langen Wechselfristen bei Wirtschaftsprüfern, die in der Reform des Wirtschaftsprüfungsrechts im Jahr 2016 gegen den Willen von Aktionärsvertretern nicht verkürzt wurden. Die DWS unterstützt bereits seit längerem eine auf zehn Jahre begrenzte Prüfdauer für die WP-Gesellschaft und erwartet eine interne Rotation der Prüfpartner nach fünf Jahren.
Ertragswert bildet inneren Wert ab, Börsenwert benachteiligt Aktionäre systematisch bei Delistings und Squeeze-Outs
Beim Delisting von börsennotierten Gesellschaften sowie beim sogenannten Squeeze-Out drohen Minderheitsaktionären massive Nachteile, vor allem das Risiko, keine angemessene Kompensation zu erhalten. Darüber sprach Dr. Martin Weimann, der in seinem Buch "Ertragswert und Börsenwert - Empirische Daten zur Preisfindung beim Delisting" 111 Delistings seit der Frosta-Entscheidung im Jahr 2013 untersucht hat. Weimann sieht das alleinige Abzielen auf den Börsenwert problematisch, da dieser nicht zu jedem Zeitpunkt den inneren Wert abbildet, wie er an aktuellen Fallbeispielen verdeutlichte. Daher plädiert er für die Anwendung des Ertragswertverfahrens zur Ermittlung eines fairen Werts. Dr. Martin Weimann erläuterte abschließend: "Die jüngsten Delistings zeigen, dass nach den derzeitigen Regeln kein Interessenausgleich zwischen den beiden Aktionärsgruppen möglich ist. Die Minderheitsaktionäre erhalten keinen Zugang zum inneren Wert, der deutlich über dem Börsenwert liegen dürfte. Zudem führt die reduzierte Kapitalmarktkommunikation nach dem Delisting dazu, dass sich diese kein valides Bild vom inneren Wert der Unternehmen mehr machen können."
Eine Aufzeichnung des Webinars kann unter folgenden Link abgerufen werden: https://youtu.be/dUQBL9suuz4
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