Mittwoch, 1. Juli 2020

SdK: Die Lehren aus dem Fall Wirecard

Der Fall Wirecard ist einer der größten Fälle von Kapitalanlagebetrug in der Geschichte. Die SdK fordert daher ein rasches Handeln der Politik, um solche Fälle in Zukunft frühzeitiger aufdecken zu können.

Der Fall Wirecard hat deutliche Schwächen bei der Überwachung von Unternehmen aufgezeigt. Obwohl in der Öffentlichkeit bereits seit 2008 immer wieder Kritik an der Bilanzierungspraxis und bezüglich der Intransparenz des Geschäftsmodells der Wirecard AG geübt wurde, haben sowohl der Aufsichtsrat als auch der Wirtschaftsprüfer in ihren Kontrollfunktionen versagt. Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat stets nur gegen die Kritiker ermittelt und immer ein kollektives Zusammenwirken von Leerverkäufern und den Überbringern der schlechten Nachrichten sehen wollen, ohne den Vorwürfen selbst nachzugehen. Die SdK fordert daher eine deutliche Antwort von politischer Seite und weist dabei auf bereits in der Vergangenheit gestellte Forderungen hin.Aus Sicht der SdK müssen folgende Änderungen vorgenommen werden: 

1. Diversität der Aufsichtsräte stärken:

Die Regelungen bei der Wahl von Aufsichtsräten ermöglichen mittlerweile zwar einen hohen Frauenanteil. Der Einfluss der Eigentümer, die mit ihrem Investment für Fehlentscheidungen haften, bei der Besetzung der Aufsichtsräte ist jedoch weiterhin begrenzt. So folgen die meisten institutionellen Investoren den Vorschlägen der Verwaltung, sofern die vorgeschlagenen Personen nicht auf Grund weniger Ausschlusskriterien unwählbar sind. Die kritischen Stimmen unter den Aktionären haben unter den derzeitigen Regelungen keine realistische Chance, selbst Vertreter in das Aufsichtsgremium zu entsenden. Dabei sind es meist die kritischen Stimmen, die sich mit dem jeweiligen Unternehmen und dessen Geschäftsentwicklung am tiefsten auseinandersetzen. Die SdK fordert daher, dass die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat in der Regel zukünftig stets gleichzeitig gewählt werden, und jeder Aktionär je Aktie so viele Stimmen erhält, wie Kandidaten zur Wahl stehen. Diese Stimmen sollten entweder auf einen (Kumulieren) oder auf mehrere oder alle Kandidaten verteilt werden können. Dies würde die Chancen erhöhen, dass auch Minderheiten und kritische Stimmen zukünftig ein Mitspracherecht in den Aufsichtsgremien erhalten. Der Wettbewerb um die Aufsichtsratsposten würde erhöht werden, und dadurch die Arbeit in den Aufsichtsratsgremien verbessert werden können. 
  
2. Der Abschlussprüfer muss gegenüber den Aktionären berichten:

Der Abschlussprüfer wird von den Aktionären gewählt. Diesen gegenüber sollte er auch rechenschaftspflichtig sein. Aktuell sind die Abschlussprüfer zur Verschwiegenheit verpflichtet, und nur Vorstand und Aufsichtsrat der Gesellschaft erhalten Einblick in die Prüfungsergebnisse. Die Eigentümer erhalten nur eine kurze Zusammenfassung in Form des Bestätigungsvermerks des Abschlussprüfers. Die SdK fordert, dass zukünftig allen Aktionären der vollständige Prüfungsbericht des Abschlussprüfers zugänglich gemacht wird. Ferner soll der Abschlussprüfer auf der Hauptversammlung von den Aktionären auch zu seinen Prüfungshandlungen und –Ergebnissen befragt werden können und dieser die Fragen wahrheitsgemäß beantworten müssen. 

3. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers stärken

Der Abschlussprüfer nimmt eine wichtige Kontrollfunktion wahr und muss daher unabhängig sein. Die Unabhängigkeit wird regelmäßig dadurch gefährdet, dass zwischen dem zu prüfenden Unternehmen und dem Prüfer eine langjährige Geschäftsbeziehung besteht. Daher muss aus Sicht der SdK ein regelmäßiger Wechsel des prüfenden Unternehmens gewährleistet sein. Die SdK fordert daher, dass spätestens alle zehn Jahre ein Wechsel stattfindet, und zwar nicht nur in Bezug auf die prüfenden Personen, sondern auch hinsichtlich der Prüfungsgesellschaft. Denn es ist nicht vorstellbar, dass ein Prüfer dem Kollegen aus der gleichen Prüfungsgesellschaft eine schlechte Arbeit testiert, indem er entscheidende Sachverhalte wesentlich anders interpretiert. Ferner sollte eine klare Trennung zwischen Prüfung und Beratung erfolgen. Ein Unternehmen, dass Beratungsleistungen erbringt, darf nicht auch prüferische Tätigkeiten für dasselbe Unternehmen erbringen. Beratungs- und Prüfungsleistungen müssen von zwei rechtlich wirtschaftlich verschiedenen Unternehmen erbracht werden. 
  
4. Haftung der Abschlussprüfer gegenüber den Adressaten erweitern

Aktuell ist die Haftung des Abschlussprüfers extrem begrenzt, da einerseits die Adressaten des Jahresabschlusses inkl. Bestätigungsvermerks in der Regel keine direkte Anspruchsgrundlage auf Schadensersatz gegenüber den Abschlussprüfer haben, und andererseits die Haftung auf 1 Mio. Euro bzw. 4 Mio. Euro (Unternehmen, der Wertpapiere im geregelten Markt gehandelt werden) pro Fall begrenzt ist. Dies wirkt kaum abschreckend und konterkariert die Informationsfunktion des testierten Jahresabschlusses gegenüber den Kapitalmarktteilnehmern als auch bestimmungsgemäßen Adressaten des testierten Jahresabschlusses. Die wesentlichen Schäden eines falschen Testats dürften – wie der Fall Wirecard deutlich zeigt – nicht bei der Gesellschaft selbst eintreten, sondern bei den Stakeholdern. Die SdK fordert daher, den Haftungsdeckel abzuschaffen und sowohl Gläubiger als auch Eigentümer in den Schutzbereich einzubeziehen, so dass eine direkte Anspruchsgrundlage auf Schadensersatz bei fehlerhaften Bestätigungsvermerken gegeben ist. 
  
5. Stärkung und Haftung der Aufsichtsbehörden

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist Deutschlands oberster Aufseher für die Finanzmärkte. Dieser Rolle wurde die BaFin bisher aber nur selten gerecht. Die Bundesanstalt hat dem Geschehen an den Märkten wenig entgegenzusetzen und wirkt wie eine lahme Behörde, die sich mehr um Ihre Zuständigkeiten kümmert als um das Aufdecken und um die Beseitigung von Missständen. In allen großen Anlegerskandalen der letzten Jahre hat die BaFin eine eher unrühmliche Rolle gespielt. Weder bei dem Milliardenraub rund um die Cum-Ex-Geschäfte noch im Fall „Prokon“ oder im Fall „P+R“ ist die BaFin, trotz eines mittlerweile implementierten Verbraucherschutzauftrages, tätig geworden. Im Fall Wirecard hat die Behörde der Wirecard AG sogar auch noch geholfen, Kritiker mundtot zu machen und durch ein Leerverkaufsverbot den Schaden für die Anleger sogar noch vergrößert. Die SdK fordert daher, die BaFin neu zu erfinden, ihr ein klares Aufgabengebiet zuzuordnen und diese mit umfangreichen Kompetenzen auszustatten. Dazu gehört auch, die Bezahlung der Mitarbeiter dem Marktniveau anzupassen. Eine Behörde, die um die besten Köpfe aus dem Finanzwesen und der Informationstechnologie kämpft, muss auch die entsprechende Bezahlung ermöglichen. Darüber hinaus fordert die SdK, dass die BaFin künftig ihre Aufgaben nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern auch im Interesse der Kapitalmarktteilnehmer wahrnimmt und entsprechend für Fehlverhalten auch gegenüber den Kapitalmarktteilnehmern haftet. 

Aktuell befindet sich die Bundesregierung leider auf einem Irrweg. Durch die virtuelle Hauptversammlung wurden die Aktionärsrechte weiter beschnitten. Gleichzeitig sollen die Aktionäre jedoch mit dem geplanten Gesetz zu Verbandssanktionen indirekt in die Haftung für kriminelles Handeln von Vorstandsmitgliedern genommen werden. Die SdK fordert die Bundesregierung daher zu einer radikalen Kehrtwende auf. Die Aktionärsrechte müssen gestärkt, die Transparenz verbessert und die Haftung der handelnden Personen verschärft und die Durchsetzung der Haftungsansprüche erleichtert werden. Nur so lassen sich Fälle wie Wirecard frühzeitig erkennen und verhindern. 

Für Rückfragen steht die SdK unter info@sdk.org gerne zur Verfügung. 

München, den 1. Juli 2020

SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. 

Hackenstr. 7b
80331 München

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