Mittwoch, 28. September 2011

OLG München: Zwangsausschluss (Squeeze out) der früheren Aktionäre der Hypo Real Estate Holding AG rechtens

Pressemitteilung Zivilsachen 10/11 vom 28. September 2011

Die Beklagte, eine börsennotierte Aktiengesellschaft, die noch 2009 zu den größten Kreditinstituten Deutschlands zählte, war, wie bekannt ist, in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 in eine ihre Existenz bedrohende Krise geraten. Ohne Zuführung erheblicher zusätzlicher Mittel drohte eine Schließung der Beklagten durch die Aufsichtsbehörden. Die Erhöhung des Grundkapitals der Beklagten durch Ausgabe neuer Aktien führte schließlich dazu, dass der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (im Folgenden: SoFFin) über einen Anteil am Grundkapital der Beklagten sowie über einen Stimmrechtsanteil von 90 % verfügte.

Nach dem 13.08.2009 verlangte die SoFFin vom Vorstand der Beklagten, die Hauptversammlung über die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf den SoFFin gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung beschließen zu lassen. Dies war möglich, da im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise der Gesetzgeber für Unternehmen des Finanzsektors die Möglichkeit geschaffen hatte, einen Squeeze out – also die Übertragung der Aktien von Minderheitsaktionären auf den Hauptaktionär gegen eine Barabfindung – durchzuführen, wenn dem SoFFin 90 % (und nicht erst, wie zuvor geregelt, 95 %) der Aktien gehören.
Am 26.08.2009 fasste der Aufsichtsrat der Beklagten einen Beschlussvorschlag für den Squeeze out. Die Beklagte lud zur außerordentlichen Hauptversammlung für den 05.10.2009 ein. Einziger Tagesordnungspunkt war der beantragte Squeeze out.
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) hatte im Vorfeld als Vertreterin unter anderem eines Klägers des vorliegenden Verfahrens beantragt, einen bestimmten Beschlussvorschlag auf die Tagesordnung der Hauptversammlung vom 05.10.2009 zu setzen, wonach den ausscheidenden Minderheitsaktionären auch das Recht eingeräumt werden solle, im Fall der Reprivatisierung - spätestens aber bis zum 30.06.2019 - ihre entzogenen Aktien zu gewissen Konditionen zurückzuerwerben.

Die Hauptversammlung der Beklagten fand am 05.10.2009 statt. Dem vom SoFFin beantragten Squeeze out stimmte die Hauptversammlung mit überwältigender Mehrheit zu. Die auf den Inhaber lautenden Stückaktien der Minderheitsaktionäre der Beklagten wurden gegen eine Barabfindung in Höhe von je € 1,30 auf den SoFFin als Hauptaktionär übertragen.

Gegen diesen Beschluss der Hauptversammlung gingen insgesamt 38 ehemalige Aktionäre der Beklagten gerichtlich vor. Mit Urteil vom 20.01.2011 hatte das Landgericht München I (Gz.: 5 HK O 18800/09) diese Klagen abgewiesen. Das Landgericht war der Auffassung, dass der angefochtene Beschluss entgegen der Auffassung der Kläger mit dem Grundgesetz, den Vorgaben des EG-Vertrages wie auch des Aktienrechts in Einklang stehe.

Gegen dieses Urteil hatten einige der abgewiesenen Kläger Berufung zum Oberlandesgericht eingelegt.

Sie erstrebten insbesondere weiterhin, dass der Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 05.10.2009 für nichtig erklärt werde.

Das Oberlandesgericht hat diese Berufungen nunmehr unter Bestätigung des landgerichtlichen Urteils zurückgewiesen. Im wesentlichen hat das OLG seine Entscheidung vom 28.09.2011 wie folgt begründet:

1. Der angegriffene Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 05.10.2009 ist weder aufgrund eines verfassungs- oder europarechtswidrigen Gesetzes ergangen noch verstößt er gegen das Gesetz oder die Satzung.
Insbesondere hat das Oberlandesgericht klargestellt, dass sowohl § 12 Abs. 4 des Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetzes (FMStBG) als auch § 5a des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes (FMStFG) eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die getroffenen Maßnahmen darstellten.

Keines der beiden Gesetze, so das OLG, sei ein verbotenes Einzelfallgesetz. Im Einklang mit Art. 19 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) würden beide grundrechtseinschränkenden Gesetze vielmehr allgemein gelten. Nicht ausgeschlossen sei damit, dass ein Gesetz an einen konkreten Sachverhalt anknüpft. Entscheidend ist, dass aus der Perspektive des Gesetzgebers eine hinreichende Ungewissheit über die Anwendungsfälle einer Norm verbleibt, dass also ein Gesetz nicht nur einen einzelnen Fall regelt, sondern potentiell für alle vergleichbaren Fälle gilt. Dann mache es keinen Unterschied, ob gegenwärtig tatsächlich eine Vielzahl von Fällen oder nur ein Einzelfall unter die Regelung fällt. Die in Streit stehenden Vorschriften seien nach Auffassung des OLG nicht allein denknotwendig auf die Beklagte zugeschnitten. Selbst wenn zum Zeitpunkt des Erlasses der beiden genannten Gesetze die Krise der Beklagten inmitten stand, seien die Vorschriften auch auf weitere Finanzinstitute anwendbar. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens war nach Überzeugung des Senats nicht abzusehen, dass § 12 Abs. 4 FMStBG, soweit ersichtlich, bislang nur bei der Beklagten Anwendung gefunden hat. Im Hinblick auf die nicht vorhersehbaren Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise waren und sind eine Beteiligung des SoFFin mit der Möglichkeit eines anschließenden Squeeze out bei anderen Finanzinstituten nicht auszuschließen. Somit liege kein getarntes Individualgesetz vor.

Die gesellschaftsrechtliche Möglichkeit des Hinausdrängens der Minderheitsaktionäre durch den Hauptaktionär nach den Vorschriften der §§ 327a ff. Aktiengesetz (AktG) durch Übertragung von deren Aktien auf den Hauptaktionär stelle darüber hinaus keine Enteignungsregelung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG dar. § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG enthalte vielmehr auch in Verbindung mit § 12 Abs. 4 FMStBG eine ausgewogene und damit verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. § 12 Abs. 4 FMStBG schaffe die Rechtsgrundlage für einen Squeeze out nicht neu, sondern modifiziere im Rahmen der zu beachtenden Bestimmungen der §§ 327a ff. AktG allein für den Anwendungsbereich des FMStBG das Aktienquorum des Hauptaktionärs.

Der aktuelle Vermögenswert der Beteiligung werde durch den Squeeze out erhalten, da die Übertragung der Aktien gegen eine angemessene Barabfindung zu erfolgen habe, welche die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt des Hauptversammlungsbeschlusses zu berücksichtigen hat.
Im Hinblick auf die Bedeutung des Finanzsektors für ein funktionsfähiges Wirtschaftsleben und damit auch für die Stabilität eines Staates und seiner Gesellschaft hat der Senat ausdrücklich festgestellt, keine Bedenken dagegen zu haben, wenn für diesen segmentellen Bereich des Gesellschaftsrechts das Aktienquorum nicht 95 % beträgt, sondern nur 90 %. Dies gelte umso mehr, als die Rechte der bisherigen Aktionäre bei der späteren Verwertung der vom SoFFin erworbenen Anteile Berücksichtigung finden, da ihnen nach § 13 FMStBG bei der Wiederveräußerung der Anteile ein Bezugsrecht eingeräumt werden soll. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei vom Gesetzgeber ausreichend beachtet worden.

§ 12 Abs. 4 FMStBG verstoße auch nicht gegen Art. 56 Abs. 1 und Art. 58 des EG-Vertrags (EGV) als der zum 05.10.2009 maßgeblichen Rechtsnorm. Ein unzulässiger Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit liege damit nicht vor.
Ohne staatliche Hilfsmaßnahmen wären zahlreiche Finanzinstitute insolvent geworden mit der Folge eines vollständigen Zusammenbruchs des Finanzsektors und einer damit zusammenhängenden Rezession. Dem galt es, was auch von der EU-Kommission so gesehen wurde, entgegenzuwirken.

2. Der Übertragungsbeschluss vom 05.10.2009, so das Oberlandesgericht, ist auch nicht wegen eines behaupteten Verstoßes gegen Vorschriften des Aktiengesetzes oder sonstiger Vorschriften nichtig oder unwirksam, etwa deshalb, weil die Einberufung der Hauptversammlung auf nur einen Tag erfolgt sei, weil der Aufsichtsrat möglicherweise nicht wirksam zusammengesetzt gewesen sei, weil Aktionären und Anwälten das von ihnen beantragte Rederecht versagt worden sei, weil angeblich das Informations- und Fragerecht verletzt worden sei oder weil Anträge der DSW und eines Aktionärs auf der Hauptversammlung nicht zur Abstimmung gestellt worden seien.

Wesentlicher Inhalt des Antrags der DSW war, dass der SoFFin, unter der Bedingung seiner Zustimmung, durch Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten verpflichtet werde, den von einem Squeeze out betroffenen Minderheitsaktionären neben dem Anspruch auf Barabfindung das Recht einzuräumen, im Fall der Reprivatisierung, spätestens bis zum 30.06.2019, ihre entzogenen Aktien zurückzuerwerben. Hierzu enthielt der Antrag bereits einen berechenbaren Rückkaufspreis. Das Rückkaufsrecht sollte danach wertpapiermäßig verbrieft sowie fungibel und handelbar gestaltet werden. Für die Ausgabe der verbrieften Rechte sollte eine Frist gesetzt werden.

Hierzu stellte das OLG fest, dass der Beschluss über eine Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär nicht mit Auflagen oder Bedingungen versehen werden könne. Die Hauptversammlung der Beklagten könne ihren Hauptaktionär nicht verpflichten, wie er mit den erworbenen Aktien zu verfahren hat, da ansonsten die Beklagte ihren Alleinaktionär beherrschen würde. Wann, in welchem Umfang und zu welchem Preis der SoFFin die erworbenen Anteile verwertet, sei keine Angelegenheit der Beklagten, sondern des Alleinaktionärs.

Der angefochtene Übertragungsbeschluss verstoße, so das OLG, auch nicht gegen andere Rechtsvorschriften. Nach § 5a Sätze 1 und 2 FMStFG sei der SoFFin berechtigt, im Zusammenhang mit der Stabilisierung eines Unternehmens des Finanzsektors Anteile an diesem zu erwerben. Dabei soll der Anteilserwerb nur erfolgen, wenn ein wichtiges Interesse des Bundes vorliegt und der vom Bund erstrebte Zweck sich nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen lässt. Es sei auf den Zeitpunkt des Anteilserwerbs, hier also des Übertragungsbeschlusses, und damit auf eine Einschätzungsprärogative des Bundes abzustellen. Unbestritten habe sich die Beklagte auch noch im Herbst 2009 in einer schwierigen Lage befunden. Umfassende Strukturmaßnahmen seien unvermeidlich gewesen. In dieser Lage könne es daher als gerechtfertigt angesehen werden, wenn sich der Bund über den SoFFin durch Ausschluss der Minderheitsaktionäre in die Rolle des Alleinaktionärs versetzt, um die erforderlichen Maßnahmen schneller und ohne die Gefahr von Anfechtungsklagen und damit zeitlichen Verzögerungen durchsetzen zu können.

Schließlich liege auch kein Verstoß gegen EU-Beihilferecht vor.
Die vom Erwerber der Aktien, hier dem SoFFin und damit dem Bund, zu gewährende Barabfindung fließe nicht der Gesellschaft zu, sondern den ausgeschlossenen Aktionären.

Auch die weiteren von den Klägern gerügten Verstöße gegen Art 3 und Art 14 GG lägen nach Auffassung des Senats nicht vor.

Der Squeeze out verletze nicht in verfassungswidriger Weise die Eigentumsrechte der ausgeschlossenen Aktionäre. Daran ändere sich nicht deshalb etwas, weil hier der das Mittel des Squeeze out wählende Hauptaktionär der Bund und damit der Staat ist. Zwar dürfe sich der Staat, wenn er sich privatrechtlicher Rechtsformen und privatrechtlicher Rechtsbeziehungen bedient, nicht der Grundrechtsbindung entziehen. Der bei Minderheitsaktionären im Vordergrund stehende vermögensrechtliche Schutz werde aber durch die Verpflichtung zur angemessenen Barabfindung sichergestellt, die dem aktuellen Vermögenswert im Zeitpunkt der Beschlussfassung entspricht. Dass der Wert der Beteiligung in Zukunft eventuell wieder steigen (oder auch fallen) kann, beinhaltet nur eine von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht erfasste Chance. Der Gesetzgeber hat diese bei einem Squeeze out durch den SoFFin aber in § 13 FMStBG gesetzlich normiert: veräußert der Fonds seine Anteile wieder, soll den ausgeschiedenen Anteilseignern ein Bezugsrecht eingeräumt werden, so dass sie ihre gesellschaftsrechtliche Mitgliedschaft wieder erlangen können.

Eine Revision gegen sein Urteil hat der Senat nicht zugelassen.

Das Aktenzeichen des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht München lautet: 7 U 711/11

Wilhelm Schneider
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht
Pressesprecher des Oberlandesgerichts München für Zivilsachen

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